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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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schläft sie wieder.«
    Ich nickte ernst.
    »Ja.«
    Eine Weile betrachteten wir die Riesentrommel. Eine eigentümliche Stille hüllte uns ein. Ich fühlte, wie Ken neben mir ruhig und gelöst atmete. Schließlich wandte er den Kopf und lächelte mich an.
    »Findest du die japanische Küche abscheulich?«
    Die unerwartete Frage brachte mich zum Lachen.
    »Im Gegenteil! Wieso?«
    »Weil wir jetzt etwas essen sollten. Komm!«
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    Er reichte mir die Hand. Unsere Finger schlangen sich ineinander. Die Berührung der weichen, warmen Hand durchfuhr meine Nerven und brandete bis ins Herz. Stumm drückte er meine Hand, während er mich durch die düsteren Gänge führte. Außer einigen Bühnenarbeitern waren wir die letzten, die das Theater verließen. Wir zogen unsere Schuhe an, und Ken nahm seinen Sportsack.
    Durch eine Hintertür traten wir nach draußen, in eine Nebenstraße. Hier war alles dunkel. Die einstöckigen Bauten sahen wie Lagerhäuser aus. An einer Holzbaracke lehnten Motorräder und Fahrräder mit Metallkörben. An den Holz- und Betonwänden hingen alte Plakate. Doch kaum waren wir um die Ecke gebogen, rückte uns die Stadt auf die Haut: Die Neonlichter zuckten in grellen Farben, wir gingen durch ein Labyrinth kleiner Straßen, an Imbißstuben, Cafés, Bierkneipen und Restaurants vorbei. Manchmal drehte Ken leicht den Kopf und lächelte mir zu.
    Jedesmal, wenn unsere Blicke sich trafen, empfand ich das gleiche Schwindelgefühl.
    »Wir sind gleich da«, sagte er.
    Kinoplakate in grellen Farben wechselten mit Light-Shows ab, die an den Fassaden der Wolkenkratzer tanzten. Riesenlaternen schimmerten, blaue Vorhänge wehten über die Schiebetüren der Gaststuben. Zwei junge Frauen im Kimono –
    Schauspielerinnen oder Bardamen – traten aus der Dunkelheit wie grüngoldene, lebensgroße Schmetterlinge. Die Pachinko-Hallen mit ihren riesigen Plastikblumen und grellbunten Schriftzeichen waren taghell erleuchtet. Die Besucher saßen alle in einer Reihe, wie erstarrt, die Gesichter auf die bunten Automaten gerichtet. Ihre Daumen bedienten die Hebel, und die unzähligen Silberkugeln rasselten ohrenbetäubend bis auf die Straße.
    Wie eine Schlafwandlerin folgte ich Ken, der jetzt durch eine Schiebetür in einen kühlen, mit Bambus und Zwergkiefern dekorierten Vorraum trat. Wir zogen unsere Schuhe aus. Eine Kellnerin im großblumigen Sommerkimono, schon müde von einem langen Arbeitstag, geleitete uns in einen etwas erhöhten, mit Matten ausgelegten Raum. Die niedrigen Tische standen in kleinen Alkoven. Man hatte das Holz gebeizt und poliert, so daß die Knoten und Löcher auf der Oberfläche wie ein Muster hervortraten.
    »Hast du etwas dagegen, auf dem Boden zu sitzen?« fragte Ken. Ich schüttelte lächelnd den Kopf. Wir ließen uns auf die dunkelblauen Kissen nieder. Die Kellnerin stellte sofort zwei Gläser Eiswasser und heiße O-Shibori in einem Bambuskörbchen auf den Tisch. Ich riß das Zellophan auf und drückte mit Behagen das heiße Frotteetuch an meine Wangen. Schon Sekunden später fühlte sich die Gesichtshaut straff und herrlich kühl an.
    »Was möchtest du essen?« fragte Ken.
    »Suche etwas für mich aus«, bat ich.
    »Hast du schon mal O-Sashimi probiert? Den berühmten rohen Fisch?«
    »Die anderen wollten nicht«, gestand ich etwas verlegen.
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    »Jetzt hör mal«, sagte er ironisch, »wir beißen nicht wie ein Bär in den frischgeangelten Fisch! Also, nehmen wir O-Sashimi als Vorspeise und hinterher Sukiyaki. Möchtest du ein Bier dazu? Oder lieber Sake?«
    »Ich würde gern etwas Sake trinken.«
    Er rief die Kellnerin und gab die Bestellung auf. Die allgemeine Essenszeit war vorüber, im Restaurant waren kaum Leute. Nur in einer Ecke saß ein Pärchen; beide führten ihre Stäbchen automatisch von der Schale zum Mund, wobei sie kaum ein Wort wechselten.
    Die Kellnerin brachte ein kleines Kännchen und zwei winzige Keramikbecher.
    Ich beobachtete, wie Kens gelenkige Hände das Kännchen befühlten, sich überzeugten, daß der Wein die richtige Temperatur hatte, und dann behutsam die Becher füllten.
    »Kampai!«
    Er hob seinen Becher, lächelte mich an und trank. Ich nahm behutsam einen Schluck. Der lauwarme Sake schmeckte wie Branntwein, nur weniger stark.
    »Ist es sehr anstrengend, wenn du spielst?« fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Nur zu Beginn, wenn ich die Schlegel hebe. Dann spüre ich das Gewicht und denke, du schaffst es nicht. Aber sobald der erste Ton geschlagen ist, vergesse

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