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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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ich alles.«
    »Bist du manchmal betrunken dabei?«
    Er lachte, leise und amüsiert.
    »Ja, das kommt vor. Aber heute abend nicht. Ich habe an dich gedacht, das genügte. Meine ganze Kraft bezog ich aus dir.«
    »Du machst dich lustig über mich«, sagte ich, fast traurig.
    »Nein. Es ist die volle Wahrheit. Faire l’amour, das kann man auch mit einer Trommel, wenn man eine Frau im Kopf hat.«
    Die Kellnerin brachte den O-Sashimi. Die hauchfein geschnittenen Fischscheibchen lagen wie Blumenblätter in weißrosa Schattierungen auf flachen braunen Tellern. Ein winziges Gefäß enthielt fadendünn geriebenen Rettich, ein Tüpfchen grünen Senf und eine Portion rosa Ingwer, in Form einer Blüte geraspelt.
    Ken zeigte mir, wie man die Zutaten mit etwas Sojasoße in einem Schälchen verrührte. Mit gerunzelter Stirn sah er zu, wie ich meine Stäbchen aus der Hülle zog, ein Scheibchen Fisch nahm und in die Soße tauchte.
    Ich kostete; das Fischfleisch zerging auf der Zunge, kühl und rein wie eine Frucht.
    »Gut?«
    Ich lächelte ihn an. Er nickte mit zufriedener Miene.
    »Ich wußte doch, daß du es magst.«
    »Mit dir ist alles ganz anders«, sagte ich und fügte entschuldigend hinzu:
    »Weißt du, bisher war ich immer nur mit Ausländern zusammen.«
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    Fältchen zeigten sich in seinen Augenwinkeln.
    »Du bist durch den Spiegel gegangen. Oder du hast ihn zerschlagen.«
    Mein Atem setzte aus. Hatte Charles womöglich recht? Vermochte er in meinen Gedanken zu lesen? Ich verschloß mich innerlich wie eine Auster. Doch Ken sprach weiter, als wäre nichts gewesen.
    »Wir Japaner setzen uns nicht permanent als fernöstliches Geheimnis in Szene.
    Und doch staune ich immer wieder, wie wenig Ausländer sich die Mühe machen, uns richtig kennenzulernen.«
    Ich ging auf das Thema ein, um mich abzulenken.
    »Woher kommt das?«
    »Weil sie ein einseitiges Bild von uns haben und daran festkleben. Sie merken nicht, wie gefühlsbetont wir sind. Und wie kindisch. Wir sind so leidenschaftlich und romantisch, daß wir äußerliche Formen brauchen, die uns in Schranken weisen, sonst drehen wir durch. Unsere Empfindsamkeit liegt ganz nahe unter der Haut, unsere Logik wandert auf halsbrecherischen Bahnen. Mit Treue und Pflichtbewußtsein nehmen wir es zu genau, das macht uns manipulierbar. Wir sehnen uns nach Anerkennung und Geborgenheit. Dazu sind wir selbstbewußt bis zur Pedanterie, halten uns für etwas Besseres. Wir stecken unsere Nase überall rein, fliegen auf alles Ausländische und integrieren es, indem wir es ›japanisieren‹.
    Und daneben sind wir auf unsere traditionelle Kultur stolz. Das wird sehr häufig mißverstanden. Ausländer, die nach Japan kommen, finden das, was sie suchen, und fühlen sich in ihren Trugbildern bestätigt. Sie sehen weder das Angesicht unter der Maske noch die Gestalt hinter dem Schleier. Sie ergehen sich in Fehlinterpretationen oder in Verleumdung. Der Fehler meiner Landsleute besteht darin, in der Unklarheit zuviel Gefallen zu finden und die verunsicherten Gaijin im sprichwörtlichen Finstern herumtappen zu lassen, und das alles nur der lieben Tugend wegen, jeder Meinungsverschiedenheit aus dem Weg zu gehen.«
    Ich konnte ihm nur recht geben.
    »Wenn du wüßtest, was ich schon alles zu hören bekam!«
    Jetzt grinste er wieder.
    »Das kann ich mir lebhaft vorstellen.«
    »Ich habe den Mund gehalten und mir mein Teil gedacht.«
    »Du bist schon sehr japanisch geworden.«
    Wir lachten beide.
    »Eigentlich seltsam, daß wir uns so gut verstehen«, sagte ich. »Wir kennen uns erst seit zwei Stunden.«
    Er hob den Becher an die Lippen.
    »Vielleicht sind wir uns schon früher begegnet.«
    Das machte mich für einen Augenblick stumm. Ich wußte nicht, ob er im Scherz sprach oder nicht. Er sah mir geradewegs in die Augen.
    »Hast du es nicht auch so empfunden?«
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    Ich schluckte.
    »Doch.«
    »Du und ich«, fuhr er fort, »wir sind von der gleichen Art. Einzelgänger.
    Rebellen. Wie Irrlichter wandern wir durch die Welt, oder wie wilde Tiere. Wir schaffen uns Phantome, denen wir treu sind, und manchmal nehmen diese Phantome Gestalt an. Würden wir uns nach der Meinung der Leute richten, wären wir unglücklich. Für die Mehrheit der Bevölkerung gelten wir als Exzentriker.
    Mag sein, daß wir selbstbezogen sind. Sind die Weichen in dieser Richtung einmal gestellt, macht uns auch das Alter kein bißchen vernünftiger.«
    Seine Augen funkelten mich an. Ich lachte. Alles, was er sagte, erschien mir

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