Silberschwester - 14
ihrem Wein, aber was die beiden nicht
wissen, macht sie nicht heiß. »Ich glaube also nicht, dass ich Isis kennen
lernen möchte oder sie mich. Nein, danke!«
»Aber … aber
du bist ihr schon begegnet!«
»Alle
Göttinnen sind ja ein und dieselbe Göttin.«
»Demeter und
Aphrodite und Artemis und die Syrische Astarte, sie sind alle ein und dieselbe!«
»Und um sie,
wie du, in dreierlei Gestalt gesehen zu haben, muss man auserwählt sein.«
»Du musst sie
sofort aufsuchen, auf der Stelle!«
»Gnädige Frau,
es ist eine Sänfte vor der Tür!«
»Schon? Gut.
Dann komm, Cynthia, wir werden dich auf deinem Weg begleiten.« Jede der beiden
packte sie an einem Arm, und zusammen hätten sie sie, auch wenn sie die Hacken
in den Boden gestemmt hätte, hochheben und tragen können! Eunoe hielt die Tür
auf, als sie sie hinausführten.
Es harrte
ihrer nicht nur eine goldene Sänfte mit Vorhängen und vier bulligen Trägern,
sondern ein Zug Flötenspieler und Blumenmädchen und sechs geschorene Priester
in weißem Linnen. Cynthia wurde auf der Hausseite in die Sänfte gepackt, und
sie schob auf der Straßenseite den Vorhang zurück, um ihre Chancen abzuwägen.
Dort war das vom König mit Schutzrecht versehene Heiligtum der Juden – aber
zwischen ihm und ihr standen Hunderte von Menschen: Sie würde es nie bis dahin
schaffen. Schon nahmen die Priester um die Sänfte Aufstellung, setzte der Zug
sich in Bewegung.
Es erging ja
kein Befehl, war
ihr nächster zusammenhängender Gedanke. Praxinoe hat nur gesagt: »Hol uns
Wein!« Irgendwer im Tempel wusste, dass ich hier war.
»Lobpreiset
die Mutter aller Lebenden«, sangen die Priester, »die Herrin der Elemente, die
vor aller Zeit Geborene.«
Es ist ja Isis
selbst, die um mein Kommen weiß, die mich aus jedem unbedachten Mund lockt, die
mir in Praxinoes Haus eine Falle gestellt hat, die Gorgo wie ein Frettchen
hinter mir hergeschickt. Vielleicht sind ja wirklich alle Göttinnen ein und
dieselbe. Und diese da hat mir einen Hinterhalt gelegt. Doch: Da hat sie in mir
aber eine würdige Gegnerin gefunden!
Und bei diesem
Gedanken lehnte sie sich in ihre Kissen zurück und begann angestrengt zu
überlegen.
Von Praxinoe
zum Tempel brauchte man etwa eine halbe Stunde: Da sie nicht länger bei ihr
gewesen war, musste diese Sänfte ja gleich losgeschickt worden sein – Isis
säumte wohl nicht! Schon setzten die Träger die Sänfte ab. Cynthia stieg aus
und wies die dargebotene Hand eines Priesters zurück. »Fass du mich nicht an«,
sagte sie und hatte darauf das Vergnügen, ihn etwas zurückweichen zu sehen.
»Sei guten
Mutes, Tochter«, intonierte ein älterer Priester. »Dein Kind wird unter den
Eingeweihten geboren werden.«
Und sie
gestattete sich ein Lächeln, bloß ein winziges: Isis wusste also nicht alles –
zumindest ihre Priester nicht.
Sie stiegen
die Stufen hinan: neun an der Zahl, breit und glatt, aus schimmerndem Marmor.
Da waren die riesigen Säulen … aber nicht, wie sie geglaubt hatte, von Ranken,
sondern von goldenen Schlangen umwunden, die dick wie Schenkel waren und ganz
glitzernde, kristallene Augen hatten. Inmitten der Kolonnade aber erstreckte
sich ein Teich, der von blühendem Lotus und den fiedrigen Kronen des Papyrus
prangte. Und über die schmale Brücke, die darüber führte, ging Cynthia mit zwei
Priestern vor und vieren hinter sich. Keine Chance zu erfahren, wie tief das
Wasser war. Sie konnte natürlich schwimmen, aber das ließ man die besser noch
nicht wissen!
Hinter jenem
Teich tat sich ein mächtiges Doppeltor zu einer riesigen Halle mit der großen
Statue der Isis auf, die genug Farbe für ein ganzes Hurenhaus an sich trug und
in der einen Hand ein Sistrum, in der anderen einen Teller in Form eines Boots
hielt und, so blicklos, über ihre Köpfe hinwegstarrte. Die Priester achteten
ihrer nicht, sondern jagten Cynthia zu einer Nebentür hinüber, die von der
Farbe der Mauer war, und drängten sie in den kleinen Nebenraum.
Der war nur
von den Fackeln erhellt, die zwei verschleierte Frauen in Händen hielten. Eine
seltsame Kopfform haben die, dachte sie, bis ihr aufging, dass sie unförmige
Wollperücken trugen … Da trat auch schon die dritte Frau auf sie zu und reichte
ihr einen Kelch in Gestalt einer Lotosblüte.
Die
Flüssigkeit darin roch süßlich, modrig. Cynthia murmelte zwei Worte darüber.
»Was ist
das?«, fragte einer der Priester in scharfem Ton.
»Ein Segen«,
erwiderte sie und trank davon. Es schmeckte wie
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