Silberschwester - 14
nicht, was man dir
hierzu in Jerusalem sagen würde. Komm, nimm noch einen Honigkuchen!«
Es war
Mittnachmittag, als Cynthia Ezras Haus verließ. Lange Schatten fielen bereits
über die Straßen. Doch das Dach der Synagoge lag noch im Sonnenschein, hell
lohte ihr Gesims mit seinem Fries vergoldeter Blumen. Und gegen Norden, eben
noch sichtbar, erhob sich der viel gerühmte Tempel der Isis, weiß schimmerten
in der Sonne alle Säulen, um die sich goldene Ranken schlangen. Jedenfalls
schienen ihr das Ranken. Ihre Augen waren gut, aber nicht so gut, dass …
»Cynthia! Bist
du das? Oh, ja!«
Cynthia sah
die Frau noch einmal an, die ihre Arme drückte: Sie war ungefähr in ihrem
Alter, aber füllig vom leichten Leben. Minus die Hälfte des Gewichts, minus
etliche Jahre …
»Gorgo! Bei
allen Göttern im Himmel! Das Leben hat es ja gut mit dir gemeint!«
»Ab und zu.
Mein Mann, Diokleidas, ist zwar wohlhabend, aber ein schrecklicher Tor. Gestern
hat er mir fünf Vliese für sieben Drachmen gekauft und gemeint, ein gutes
Geschäft gemacht zu haben, aber es war alles nur Ausschuss und Dreck … Doch,
wie geht es dir? Ja, du bist so dünn geworden. Sag, bist du denn verheiratet
oder …«, schwätzte die Frau, so auf ihren Bauch schielend, und sah dann rasch
zur Seite.
»Verheiratet
und verwitwet. Und rund ums ganze Meer gereist. Mein Vater starb in Italien.«
»Ach, was für
ein Jammer, ohne seinen ersten Enkel zu sehen, und auch deinen Mann! Aber du
wirst schon sehen: Kinder sind ein großer Trost!«
»So die Götter
es wollen«, sagte Cynthia und ballte heimlich die Faust. »Es freut mich, dich
wohlauf getroffen zu haben. Jetzt muss ich aber …«
»O nein, nein,
du darfst nicht so schnell wieder weg, wo wir uns doch eben erst begegnet sind.
Ich war gerade auf dem Weg zu Praxinoe, du erinnerst dich an sie? Sie wohnt
gleich hier in der Nähe!«
Gorgo hatte
sie so fest untergefasst und zog sie mit ihrem ganzen Gewicht mit sich. Nun
gut, es konnte ja auch nichts schaden, mit ein paar alten Freundinnen, und
seien sie noch so dick und närrisch geworden, eine Stunde zu verplaudern …
»Oh, Gott, was
für eine Menschenmenge! Wie Ameisen sind sie, nicht zu zählen. Immerhin hat
Ptolemäus uns letzthin ja sehr geholfen: keine Beutelschneider mehr hier in
diesen Straßen! Holla, guter Mann, renn uns nicht über den Haufen! Zum Glück
habe ich die Kinder daheim gelassen. Aber hör, da ist ja das Haus!«
Da pochte sie
an die Tür, und gleich darauf öffnete, mächtig gegen die Nachmittagssonne
blinzelnd, ein ganz verstrubbeltes Mädchen. »Hallo, Eunoe. Ist Praxinoe zu
Hause?«
»Nein«, sagte
die Kleine.
»Gorgo,
Liebe!«, rief es von innen, mit hoher, fast schriller Stimme. »Für dich bin ich
doch zu Hause … Komm herein, komm herein, wir haben uns lange nicht gesehen!«
Damit kam Praxinoe herzu und komplimentierte die beiden durch die schwere Tür
in den Frauenhof. »Und Cynthia, bei den Göttern! Das ist ja Menschenalter her.
Setz dich. Nimm dieses Kissen. Und Eunoe, du faules Gör, hol uns Wein!«
Cynthia nahm
Platz, gewillt, das Palaver zu ertragen. Der Wein war ja gut, und die beiden da
konnte sie schwätzen lassen, wie zwei Spatzen in einem Kornfeld …
»Natürlich
verbringen wir viel Zeit im Tempel der Göttin, bei Opfer und Gebet.«
»Ah«, sagte
Cynthia so neutral wie nur möglich.
»Warst du
schon in ihrem Tempel?«
»Nein. Alle
Welt legt es mir zwar nahe, aber vorläufig habe ich noch …«
»Glaubst du
etwa nicht an die Göttin?«, fragte Praxinoe und beäugte sie wie eine Krähe
einen fetten Wurm.
»Wenn du schon
so viele Göttinnen gesehen hättest wie ich, würdest du auch nicht an sie
glauben!«
»Gesehen?«,
rief Gorgo, mit hervorquellenden Augen, und fasste sich an die Brust, so als ob
sie keine Luft mehr bekäme.
»Nun, sehen
wir doch mal«, versetzte Cynthia und hielt einen Finger hoch. »Ich hatte da
eine Vision, einen Traum, von der Erdmutter, die ihre Kinder frisst. Dann habe
ich in Phaneraia im Schoß der Erde so eine namenlose, verbrauchte, vergessene
Erdgöttin gesehen, die bloß noch ein paar Dutzend Seelen in petto hatte.
Dann ging ich
nach Palermo, dort lief ich in Tinnit hinein, in irgendeinem ihrer Tempel, und
… es tut mir Leid, das zu sagen, aber wir zwei, wir mochten einander nicht. So
zog ich weiter …« Und nachdem sie meinen Mann ersäuft hatte, kehrte ich
ihren Fluch gegen sie und versenkte so eine ganze Flotte voll mit ihren
Getreuen, sann sie und nippte von
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