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Silberschwester - 14

Silberschwester - 14

Titel: Silberschwester - 14 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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fürchte ich nicht, dass sie
stirbt, aber sie könnte wahnsinnig werden.«
    Cynthia, die,
mit Palamedes an der Hand, ehrerbietig hinter ihnen herging, dachte an das
unerforschte Land, das Wahnsinn hieß. Vielleicht ein besserer Ort als der
jetzige – aber nein, könnte sie sich denn noch an Komi erinnern, wenn sie den
Verstand verloren hätte?
    Und sie zog
ihre Stola tiefer in die Augen, bis sie nur noch Demetrios’ Füße vor sich auf
dem Wege sah. Die Luft war jetzt so trocken, dass ihr Haar knisterte, wie das
Fell einer Katze, die gestreichelt wird. Es roch nach Ziegelstaub. Der
gleichmäßige Tritt der königlichen Eskorte links und rechts, die Schreie der
Möwen und das Gemurmel des Gesindes und Militärs, das sich auf der Palasttreppe
drängte, drangen wie aus weiter Ferne an ihr Ohr.
    Da, ein
gellender Schrei!
    Es war, als ob
ein Blitz, mit der ganzen Elektrizität dieser Herbstluft, vor ihren Füßen
eingeschlagen hätte: Sie riss die Augen auf, ließ Palamedes los, stieß ihre
Stola zurück. Dort – ein umgeworfener Wagen, Deichsel gebrochen, der Fahrer kam
gerade wieder auf die Beine, der panische Hengst scheute und stieg, Männer
rannten herzu, um in die Zügel zu greifen. Ein Schwarm erschreckter Tauben erhob
sich flügelschlagend, sodass eine dicke Staubwolke aufstieg. Und eine Hand voll
Männer bei dem Wagenrad beugte sich über einen Graubart, der auf dem Boden lag
und sich stöhnend das Bein hielt.
    Cynthia ließ
ihre Eskorte stehen, hetzte voran und scheuchte die Begleiter dieses Alten zur
Seite wie eine Schar nervöser Schafe. »Lass mich dein Bein ansehen, Großvater …
Du, Junge, bring mir den Beutel mit dem roten Riemen!«, rief sie und zog dem
Alten die Robe hoch – und da wurde eine blaue Schwellung sichtbar, größer als
ihre Hand, und eine offene, aber nicht zu tiefe Wunde. Der Knochen schien nicht
gebrochen zu sein. Aber eine so große Prellung konnte das ganze Bein
verkrüppeln, wenn nichts unternommen wurde. So entnahm sie dem Sack, den ihr
der Sklave brachte, eine Leinenbinde und machte ihm daraus einen schönen,
festen Verband.
    Die Männer des
Königs hatten den scheuenden Hengst gebändigt und fortgeführt. Da hockte
Cynthia sich auf ihre Fersen und musterte die Gefährten des Patienten: Drei
junge Männer, die ihm so ähnelten, dass sie seine Söhne sein mussten. Alle vier
hatten sie die blauen Augen der Hellenen. Der Schrecken wich ihnen zusehends
aus dem Gesicht – jetzt lächelten sie sogar.
    »Sag, wie
heißt du, Großvater, und wo wohnst du? Ich möchte morgen nach dir sehen und dir
einen Wickel machen.«
    »Ezra ben
Jaakov, mit Verlaub, Handelsrat des Königs … Ich wohne in der Webergasse, im
Delta«, erwiderte der Alte und zeigte mit dem Daumen nach Osten. »Gleich hinter
dem Palast. Es ist nicht weit.«
    »Gut. Könnt
ihr Männer euren Vater nach Hause schaffen? Dann bringt ihn ins Bett, und lasst
ihn ja keinen Fuß auf die Erde setzen! Ich schaue morgen vorbei.«
    Da umringte
die Eskorte sie und drängte sie sich zu erheben. »Morgen!«, wiederholte sie und
folgte den Wächtern durch Tore und Gänge, über Treppen zu einem Gästehaus in
einem Garten, in dem sechs Palmen Schatten spendeten und die Luft vom Duft
eines in einem kleinen Teich wachsenden weißen Lotus erfüllt war. Das Leben,
sann Cynthia. Es ging weiter, wie ungebeten auch immer.
    »Das Wasser
für Hände und Gesicht, Herrin!«
    »Mmm? Oh … Stell
es dort hinüber.«
    »Und wünschst
du, später im Teich ein Bad zu nehmen? Wenn du zum Tempel der Isis …«
    »Morgen,
vielleicht. Das ist alles.« Wie seltsam! Das ist ja nun schon das dritte
oder vierte Mal, dass mir Wildfremde mit derselben Einladung kommen. Vielleicht
haben sie ein Geschäft im Sinn?
    Als Cynthia
die Sklaven weggeschickt und die Tür hinter sich abgeschlossen hatte, löste sie
die Schärpe um ihren Bauch – und fing den polierten Schildkrötenpanzer, der
herausfiel, auf und legte ihn auf den Tisch. Durch die Hals- und Beinöffnungen
des Panzers schimmerten weiße Papyri: die Magiebücher, die Palamedes nicht mehr
zu lesen vermocht hatte. Wenn die Agenten der Bibliothek die entdeckt hätten,
wären die gleich an Kopisten weitergegeben worden – und ob sie dann jeweils die
Originale zurückerlangt hätte? So hatte sie diesen Panzer, in schweißtreibender
Scheinschwangerschaft, seit Syrakus am Bauch getragen, und das hatte sich ja
bezahlt gemacht. Nun reihte sie die sechs Rollen auf, entzifferte die am
Außenrand mit Tinte notierten

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