Silberstern Sternentaenzers Sohn 06 - Annit und der Geschichtenerzaehler
sich.
„Guten Tag, gestern war doch das Pferderennen. Mein Pferd und ich, wir haben in unserer Gruppe den fünften Platz belegt. Wir wären noch besser gewesen, wenn Habib uns nicht abgedrängt hätte. Aber Silberstern hat super aufgeholt, und das war doch die Prüfung, von der Sie gesprochen haben, oder?“, stieß Annit atemlos ohne Punkt und Komma hervor, sodass der Stammesfürst Mühe hatte, das so schnell zu übersetzen. „Das heißt ja auch, dass ich jetzt das Geheimnis der magischen Pferde endlich erfahren kann?“
Eine Weile blickte Abd al-Umar sie nur schweigend an. Dann sagte er etwas, was der Stammesfürst für Annit übersetzte.
„Er hat von deiner Leistung beim Rennen gehört.“
„Genau! Und?“, hakte Annit atemlos nach. Ihr Herz klopfte voller Vorfreude bis zum Hals. Es war ein Gefühl wie an Weihnachten kurz vor der Bescherung.
„Gemach, mein Kind!“, fuhr der Stammesfürst fort. „Abd al-Umar meint weiter, dass dies nicht die Prüfung war, von der er das letzte Mal gesprochen hatte.“
„Wie?“ Annit starrte den Stammesfürsten entsetzt an. „Das Rennen war nicht die Prüfung?“
„Nein, das Rennen war es nicht“, bekräftigte er.
„Aber ... was soll das? ... Was denn dann?“, platzte es aus Annit heraus.
Abd al-Umar sagte wieder etwas.
„Du musst geduldig sein, die Zeit wird dich bereit machen für die Wahrheit", übersetzte der Stammesfürst.
„Geduldig?“, wiederholte Annit. „Tut mir leid, aber ich kann nicht mehr geduldig sein“, sagte sie aufgebracht. Offensichtlich brach jetzt die Anspannung der letzten Tage aus ihr heraus. „Ich hab so gehofft, dass ich nach diesem Rennen die Wahrheit um die magischen Pferde erfahren würde. Wie lange soll ich denn noch Geduld haben? Wie lange wird es noch dauern, bis die Zeit mich gnädigerweise bereit gemacht hat? Eine Woche, einen Monat, ein Jahr oder Jahrzehnte?“ Annit versuchte, die Tränen hinunterzuschlucken.
Abd al-Umar bedachte sie mit einem gütigen Blick, bevor er antwortete.
„Er versteht deine Ungeduld sehr wohl“, übersetzte der Stammesfürst.
„Das hilft mir auch nicht viel weiter. Worauf soll ich denn nun warten?“, murmelte Annit vor sich hin. Dieses Mal wartete sie nicht auf eine Antwort, sondern drehte sich um und lief davon. Mit wenigen Worten hatte Abd al-Umar all ihre Hoffnung zerstört.
„Ich pfeif auf den! Wahrscheinlich weiß der eh nichts.“ Wütend kickte sie eine Ladung Sand in die Luft. „Wahrscheinlich hat der null Ahnung und will mich nur auf den Arm nehmen! Nichts weiß der doch!“ Die nächste Ladung Sand stob in die Luft und verteilte sich in allen Himmelsrichtungen über dem Wüstenboden. „Das ist so was von unfair. Erst Hoffnungen machen, und dann im Regen stehen lassen.“
Im Laufschritt erreichte sie das Dorf. Wutentbrannt lief sie direkt in das Zelt des Stammesfürsten und setzte sich an seinen Computer. Zum Glück hatte sie bereits vor einiger Zeit abgeklärt, dass sie den Computer jederzeit ungefragt nutzen durfte.
Sie wählte sich in ihr Mail-Programm und begann zu schreiben. „Liebe Caro. Das war’s! Ich hab alles versucht. ALLES! Ich bin, wie Du es wolltest, nach Syrien gereist, hab den zweiten Teil der Prophezeiung in Erfahrung gebracht, hab an diesem Pferderennen in der Wüste teilgenommen, esse fremdländische Gerichte und weiß nicht mal mehr, wie Pizza oder Pommes schmecken. Aber nun komm ich nicht mehr weiter. Als dieser geheimnisvolle Geschichtenerzähler zu uns ins Dorf kam, dachte ich, dass ich dem Geheimnis unserer Pferde endlich auf der Spur bin. Dass ich noch mehr rauskriege, etwas über die Hintergründe erfahre. Doch keine Chance. Gar keine. Der Typ sagte etwas von einer Prüfung, die ich bestehen müsse, damit ich bereit sei für die Wahrheit. Ich dachte, es ginge dabei um dieses Pferderennen. Silberstern hat sich übrigens super geschlagen, alle sind stolz auf ihn. Und daher hab ich geglaubt, ich hätte die Prüfung bestanden, und
diesen Geschichtenerzähler gesucht. Ich komm gerade von ihm zurück. Weißt Du, was der labert ? Ich soll Geduld haben, dann kommt die Wahrheit zu mir. Wie kommt sie zu mir? Durch die Tür? Mit der Post? Sorry, Caro, aber ich kann nicht mehr warten. Ich hab Sehnsucht nach zu Hause und will zurück. Wir müssen uns also mit dem begnügen, was wir bisher erfahren konnten. Mehr als der zweite Teil der Prophezeiung geht eben nicht, aber das ist doch auch
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