Silberstern Sternentaenzers Sohn 06 - Annit und der Geschichtenerzaehler
Silberstern hab ich nun mal in meiner Vision gesehen. Ich versteh ja, dass Du aus der Wüste wegwillst, dass Du wieder nach Hause willst. Aber kannst Du nicht vielleicht noch ein bisschen länger bleiben? Wenn Du jetzt gehst, werden wir das Geheimnis unserer magischen Pferde niemals lüften. Annit, bitte überleg’s Dir noch mal! Grüße.“
Pah! Annit klickte Carolins Mail weg. Du hast gut reden, Caro! Du sitzt zu Hause, du kannst Pizza essen und Cola trinken, bis du platzt! Ein Zipfel ihres Kopftuches rutschte auf Annits Schulter. Ein paar Sandkörner fielen heraus. Ihr Kopf juckte. Sie lehnte sich zurück. Was würde ich jetzt für ein Schaumbad mit kleinen weißen Schaumkrönchen geben, die man durch die Luft pusten kann! Umsonst? Pah! Von wegen! Immerhin hab ich rausgefunden, dass magische Pferde nur böse werden, wenn sie mit bösen Menschen zu tun haben. Das reicht doch, oder?! Müssen wir mehr wissen?
Annit seufzte. Dann holte sie den Brief ihrer Mutter aus ihrer Tasche und las ihn zum dritten Mal. Plötzlich tauchte wie aus dem Nichts das schwarz verhüllte Antlitz des Geschichtenerzählers vor ihr auf. „Du bist noch nicht reif für die ganze Wahrheit“, hörte sie seine Stimme. Welche ganze Wahrheit?
Dazwischen schlichen sich Carolins Worte in ihren Kopf. „Wenn du jetzt aufgibst, werden wir das Geheimnis unserer magischen Pferde niemals lüften.“ Annit kannte Carolin gut genug, um zu wissen, dass die Freundin sie niemals darum bitten würde, wenn es ihr nicht sehr, sehr wichtig wäre. „Ach Caro!“, seufzte Annit und sah die Freundin aus Deutschland vor sich. Mit ihren kurzen kastanienbraunen Haaren und den lustigen braunen Augen. Sah deren Pferd Sternentänzer, den prächtigen, mondhellen Araberhengst, den Carolin über alles liebte. Wie ich meinen Silberstern!, dachte Annit. Sie hing noch
eine ganze Weile ihren Gedanken nach, bevor sie wieder an ihre Arbeit ging.
Habibs Rache
Es war ein herrlicher Morgen. Annit marschierte gerade am Zelt des Stammesfürsten vorbei Richtung Stall und wollte zu Silberstern. Da riss ein spitzer Schrei von Barissa sie aus ihren Gedanken. Die Beduinenfrau stand im Zelteingang, hatte die Hand auf ihren Mund gedrückt und machte große, entsetzte Augen.
„Was ist denn los?“, erkundigte sich Annit.
Doch Barissa reagierte nicht, starrte nur auf den baumlangen Beduinen, der mit hochrotem Gesicht und wild gestikulierend durch das Dorf lief. Immer wieder wiederholte er die gleichen Worte.
Fragend blickte Annit zu Barissa. „Was sagt er, warum ist er so aufgeregt?“
Die Beduinenfrau stieß zischende Laute hinter ihrer Hand hervor. Annit verstand kein Wort. Aber sie begriff, dass etwas ganz Schreckliches geschehen sein musste.
Die Beduinenfrau stand immer noch wie angewurzelt da, als der Stammesfürst aus dem Zelt kam. Seine Augen funkelten wütend, und er stieß einen Fluch nach dem anderen hervor.
„Was ist denn passiert?“, wollte Annit wissen.
Der Stammesfürst war so aufgebracht, dass er sie gar nicht bemerkt hatte. Er fuhr herum. „Sie sind weg!“, schimpfte er.
„Wer denn?“, hakte Annit mit einem merkwürdigen Grummeln im Bauch nach.
„Sie sind weg, alle“, wiederholte er. Seine Stimme überschlug sich beinahe.
Vorsichtig zupfte Annit an seinem Ärmel. „Wer ist weg? Was ist passiert?“
Der Stammesfürst straffte seine Schultern und schnaufte tief. „Er hat sie mitgenommen. Dieser Sohn einer räudigen Hyäne hat sie alle mitgenommen. Habib ist weg und hat alle Pferde mitgenommen. Oh Allah, ich könnte ihn!“
Annit schluckte. „Er hat alle Pferde mitgenommen?“, wiederholte sie tonlos und wagte es kaum, die nächste Frage zu stellen. Sie hatte Angst vor der Antwort. „Auch Silberstern?“
„Auch Silberstern“, bestätigte der Beduine.
Annit stockte der Atem. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, als würde sich der Boden unter ihren Füßen auf tun. „Meinen Silberstern.“
„Er hat all unsere wertvollen Beduinenpferde mitgenommen“, sagte der Stammesfürst. Seine dunklen Augen funkelten gefährlich.
„Hammer!“ Annit löste sich aus ihrer Starre. „Wir müssen Habib nach, wir müssen ihn finden. Wir müssen die Pferde finden, wir ..."
„Ich werde eine Versammlung einberufen, um alle Dorfbewohner darüber zu informieren“, erklärte der Stammesfürst kurz und eilte davon.
Keine zehn Minuten später dröhnte ohrenbetäubend lautes Getrommel durch das
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