Silberstern Sternentaenzers Sohn 06 - Annit und der Geschichtenerzaehler
vorne auf die Knie, hinten auf die Füße und zuletzt vorn auf die Füße. Dann setzte es sich in Bewegung.
„Und wo genau reiten wir jetzt hin?“, fragte Annit mit matter Stimme.
„Wie schon gesagt, nach Jordanien“, antwortete der Stammesfürst. „Wenn es stimmt, was uns zugetragen wurde, ist Habib Richtung Petra unterwegs. Dort will er sich mit dem Pferdehändler treffen.“
„Petra?“, wiederholte Annit. „Was ist das?“
„Du kennst Petra nicht?“, wunderte sich der Stammesfürst. „Ein weiter Weg liegt noch vor uns. Ich werde dir davon erzählen.“
Aufmerksam lauschte Annit den Worten des Stammesfürsten.
„Petra heißt Fels. Die legendäre Felsenstadt Petra liegt mitten im heutigen Jordanien“, begann er. „Um Christi Geburt war Petra Hauptstadt und blühende Handelsmetropole des Nabatäer-Reiches, einem der mächtigsten Stämme im Vorderen Orient. Die geschützte Lage und das Wasser machten die Stadt lange Zeit zu einer beliebten Station für Karawanen, die mit allen möglichen Luxusgütern wie Gewürzen, Seide, Perlen und Weihrauch beladen waren, und das brachte Petra auch Reichtum. Nach einem Erdbeben verließen dann viele Menschen die Stadt, bis sie im Laufe der Jahrhunderte ganz ausstarb. Petra wurde zum Mythos, jahrhundertelang lebte die Stadt nur in den Geschichten der Geschichtenerzähler.“
„Wie Abd al-Umar“, murmelte Annit.
„Und in den Geschichten, mit denen sich die Karawanenhändler abends am Lagerfeuer die Zeit vertrieben“, redete der Stammesfürst weiter. „Heute ist Petra eine Totenstadt. Nur zahlreiche Touristen erkunden den Ort täglich und kommen mit Bussen oder Kamelen zu diesem einzigartigen Kulturdenkmal.“
Allmählich wurde es Abend. Die Sonne sank, die Luft wurde frischer und machte es leichter, durchzuatmen. „Warum erzählen Sie nicht weiter?“, fragte Annit, als der Stammesfürst eine Weile schwieg.
„Ich dachte, du seist eingeschlafen“, gab er zurück.
„Wie kann ich schlafen, wenn ich nicht weiß, wo mein Silberstern ist?“ Annit schluckte. „Vielleicht ist er schon längst verkauft, und ich seh ihn nie wieder!“
„Keine Sorge, wir werden Habib schon rechtzeitig finden“, unterbrach der Stammesfürst sie mit sanfter Stimme. „Auch wenn ein paar Leute Habib unterstützen, weil sie Geld haben wollen, wir sind schneller. Und wir werden nicht eher aufgeben, bis wir all unsere Pferde zurückhaben.“
Es wurde ein langer Ritt. Nach mehreren endlos langen Tagen durch Sand und Steinwüste erreichten sie endlich den Eingang nach Petra und passierten eine lange Schlucht. Annit war heilfroh, denn das Geschaukel auf dem Kamel wirkte sich auf ihren Magen ebenso störend aus wie die Fahrt in Mohammeds Laster.
Doch bei dem herrlichen Anblick, den die Felsenstadt mit ihren direkt in den Stein gemeißelten Fassaden bot, waren die Strapazen und der Grund ihrer Reise für einen Moment vergessen. Die untergehende Sonne tauchte die Grabtempel in die schönsten Farben von Ocker über Gold bis Rosa und Tiefrot.
„Schau!“ Der Stammesfürst deutete auf eines der Bauwerke. „Dies ist die Schatzkammer des Pharao, eines der berühmtesten Gebäude Petras. Man sagt, es wurde für einen Nabatäer-König angelegt.“ Mitten im Satz hielt der Stammesfürst inne. Auf sein Zeichen hin stoppte die Karawane.
„Was ist?“, fragte Annit.
Der Stammesfürst stieß einen zischenden Laut aus, das Kamel ging in die Knie, und er stieg ab. Annit tat es ihm gleich, die anderen auch. Die Beduinen versammelten sich im Schutz der Felsen, banden die Kamele fest und setzten den Weg zu Fuß fort. Annit versuchte, dem Stammesfürsten dicht auf den Fersen zu bleiben - was gar nicht so einfach war. Denn auf dem unwegsamen, steinigen Boden kam sie nur sehr langsam voran.
Plötzlich blieb er stehen und deutete mit einer Kopfbewegung nach vorne. Am Ende der Säulenstraße, der einstigen Hauptverkehrsachse Petras, standen dicht zusammengepfercht zahlreiche herrliche Araberpferde.
„Silberstern!“ Annit wollte sofort losstürzen. Aber der Stammesfürst hielt sie zurück.
Neben einem großen Geländewagen entdeckte sie Habib. Er lehnte an der Tür der Fahrerseite und unterhielt sich gerade durch das offene Fenster mit einem Mann. Nun nickte er und deutete auf die Pferde. Die Wagentür öffnete sich, ein bulliger Mann in einem Safarianzug stieg aus. Auf der Beifahrerseite hüpfte ein hagerer, schlaksiger Mann mit Glatze
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