Silberstern Sternentaenzers Sohn 06 - Annit und der Geschichtenerzaehler
erklärte er.
„Stimmt“, pflichtete Annit ihm spontan bei. „Dieser Geschichtenerzähler ist ein Aufschneider, der..."
„Nein!“, unterbrach sie der Stammesfürst. Seine Stimme klang scharf wie ein Messer.
„Es geht nicht um ihn. Es geht um Habib.“
„Habib?“, wiederholte Annit und sah ihn an wie ein Wesen von einem anderen Stern. „Was ist mit ihm?“
„Seit er bei dem Pferderennen so schlecht abgeschnitten hat, hat er sich immer weiter aus der Gemeinschaft zurückgezogen“, begann der Stammesfürst.
Gleichgültig zuckte Annit mit den Schultern. „Gut für die Gemeinschaft.“
„Er ist sehr wütend und ungehalten und würde uns am liebsten verlassen“, fuhr der Stammesfürst ernst fort.
Annit zeigte sich teilnahmslos. „Soll er doch.“
Der Stammesfürst machte ein ernstes Gesicht. „Das kannst du nicht verstehen. Wir sind wie eine Familie. Wir müssen zusammenhalten. Es ist nicht gut, wenn jemand geht. Wir müssen alles tun, um ihn bei uns zu halten. Es geht auch um unsere Stammesehre.“
„Von wegen Stammesehre, der Typ macht euch doch nur Ärger“, empörte sich Annit.
Das Oberhaupt des Beduinenstammes sah sie an wie ein Vater sein ungezogenes Kind. „Du weißt nicht, wovon du sprichst!“, herrschte er sie an. „Jedes Mitglied eines Stammes trägt fiir alle anderen des Stammes Verantwortung. Umgekehrt bedeutet das, dass der gesamte Stamm dazu aufgerufen ist, Rache zu üben, wenn ein Stammesmitglied verletzt oder getötet wird.“
Tags darauf rief auf einmal lauter Trommelwirbel den Stamm zusammen. Der Stammesfurst wartete vor seinem Zelt auf seine Leute. Er hielt sich aufrecht wie ein Speer und blickte sehr ernst in die Runde.
Als alle saßen, streckte er seinen Arm in die Höhe und begann zu sprechen.
„Was sagt er?“, raunte Annit Yussuf zu, der neben ihr saß. Doch der gab ihr durch ein Handzeichen zu verstehen, dass sie schweigen solle. Angespannt lauschte er den Worten des Stammesfürsten. Die anderen Beduinen wirkten ähnlich angespannt.
Auf einmal erhob sich Habib, verneigte sich und fing an zu sprechen. Dabei gestikulierte er heftig mit den Armen. Seine Stimme klang energisch. Als er geendet hatte, riefen die Beduinen aufgeregt durcheinander, schüttelten die Köpfe und warfen ihre Fäuste drohend in die Luft.
„Was geht da ab?“, fragte Annit irritiert nach. Doch Yussuf wehrte sie wieder nur ab wie eine lästige Fliege.
Die Stimmen wurden lauter, die Gesten wilder, einige der Männer waren aufgesprungen, umringten Habib und redeten auf ihn ein. Die Augen des jungen Beduinen funkelten wütend. Auf einmal schlug er wie wild um sich und lief mit großen Schritten davon. Einige der Männer reckten ihm drohend die Fäuste nach.
Auf ein Zeichen des Stammesfürsten ertönte erneut Trommelwirbel. Der alte Beduine deutete seinen Leuten an, sich wieder hinzusetzen. Als schließlich Ruhe eingekehrt war, sprach er noch ein paar Worte, dann zog er sich zurück in sein Zelt. Die Beduinen blieben in kleinen Gruppen zurück und unterhielten sich.
Annit packte Yussuf an seinem Gewand. „Jetzt erzähl schon, was geht hier ab?“
„Wir ziehen heute weiter“, antwortete Yussuf knapp.
„Ja klar“, nickte Annit. „Und deswegen sind hier alle so drauf, als würde der Stamm kurz vor einem Krieg stehen! Also?“
Yussuf machte sich los. „Das ist eine reine Familienangelegenheit“, sagte er knapp und gesellte sich zu dem Grüppchen, das ihm am nächsten stand.
„Blödmann!“, rief ihm Annit nach. Sie lief zum Zelt des Stammesfürsten und betrat es ungefragt.
Der alte Beduine saß auf seinem Kissen. Seine Augen funkelten wütend. „Wer hat erlaubt, dass du eintreten sollst?“, fauchte er.
Annit zuckte zurück. Sie hatte ihn noch nie so aufgebracht erlebt. „Ich wollte ..."
„Sprich!“
„Ich wollte nur wissen, was eben passiert ist? Warum ist Habib so wütend abgedampft?“
„Wir haben ihn verloren“, gab das Dorfoberhaupt kurz zurück.
Etwas unentschlossen blieb Annit im Zelteingang stehen.
Mit einer Handbewegung deutete ihr der Stammesfürst an, sich zu setzen. „Habib wird sein Glück in einer der Städte versuchen.“
„Aber ... ich versteh nicht, warum sich die anderen deswegen so aufgeregt haben?“
„Er wollte sein Pferd mitnehmen“, klärte der Stammesfürst sie auf. Seine Worte klangen messerscharf.
„Aber ... was ist denn daran so falsch?“, fragte Annit vorsichtig nach.
„Das Pferd
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