Silbertod
Lippen war die Farbe gewichen, sie zitterte.
»Wo, um alles in der Welt, bist du denn auf einmal gewesen?«, fragte sie ärgerlich. »Gerade warst du noch da und im nächsten Moment warst du weg!«
»Du warst doch auch verschwunden«, sagte Pin empört. »Wie bist du zurückgekommen?«
Juno machte ein schuldbewusstes Gesicht. »Es tut mir leid.Als ich dich nicht finden konnte, bin ich einfach weitergegangen und irgendwann rein zufällig in der Squid’s Gate Alley rausgekommen.«
Mrs Hoadswood schüttelte den Kopf. »Du weißt gar nicht, was du da für ein Glück hattest«, sagte sie. »Den Nebel hier darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
»Ein Teufel ist er, ein wahrer Teufel!«, rief Beag grimmig dazwischen.
»Wer?«, fragten Pin und Juno einstimmig.
»Der Fluss. Er kann innerhalb einer Minute den dichtesten Nebel zusammenbrauen. Die ganze Stadt war darin eingehüllt. Wisst ihr, es gibt sogar ein Lied über den Fluss. Es heißt: Das nasse Grab .«
Und bevor ihn jemand hindern konnte, holte Beag tief Luft und stimmte voller Inbrunst die erste Strophe an:
»Old Johnny Samson
Geht zum Fluss hinab.
Da packt ihn der Foedus
Und zieht ihn ins Grab,
Und zieht ihn ins …«
»Ja, danke, Beag«, unterbrach ihn Mrs Hoadswood. »Vielleicht später.«
»Ich versteh das nicht«, sagte Pin. »Ich dachte, ich bin in den Fluss gestürzt, und doch bin ich nicht nass?«
»Er ist zugefroren«, sagte Beag.
»Was?«
»Der Foedus. Er ist von einer halbmeterdicken Eisschicht bedeckt. Und das hat dir das Leben gerettet, du bist nicht ins Wasser gefallen, sondern aufs Eis.«
»Deshalb tut mir der Kopf so weh!«
Aluph lachte. »Ich wette, dem andern geht’s genauso.«
»Wem?«
»Dem Kerl, der dich über die Mauer gestoßen hat«, erklärte Juno. »Beag hat ihm eine Kartoffel nachgeworfen.«
»Voll am Kopf getroffen!«, sagte Beag stolz. »Mein bester Wurf überhaupt, das kann ich wirklich so sagen.«
Pin fing an zu lachen, verzog dabei aber schmerzvoll das Gesicht.
»Kannst du mal erzählen, was passiert ist?«, fragte Mrs Hoadswood, während sie noch einmal Suppe in Pins Schale füllte.
»Also, das war so«, fing Pin an. Allmählich kam ihm alles wieder. »Nachdem ich Juno verloren hatte, bin ich von einem Haufen Bettler überfallen worden. Sie wollten mich zum Abendessen rösten, aber ein Fremder – es muss der Mann gewesen sein, den Beag gesehen hat – mischte sich ein und rettete mich. Er hat nämlich Zeke, den Anführer, mit einem Stock so fest gestoßen, dass er hinfiel. Der Fremde fragte mich, ob ich das Biest gesehen hätte, und kaum waren wir beim Foedus, stieß er mich mit seinem Stock. Danach weiß ich nur noch, dass ich über die Mauer gefallen bin.«
»Ein Stock, der Leute zu Fall bringt?« Beag zog die Augenbrauen hoch.
»Ich kann’s nicht richtig beschreiben«, sagte Pin. »Es gaberst eine Art Schwirren, und dann habe ich beim Kontakt mit dem Stock einen so gewaltigen Schlag bekommen, dass ich den Halt verlor.«
Beag war nicht überzeugt. »Bist du sicher? Vielleicht hat dich ja deine Beule am Kopf durcheinandergebracht?«
»Nein«, sagte Pin bestimmt. »Ich weiß, dass es komisch klingt, aber genau das ist passiert. Seht mal, hier ist noch der Abdruck, wo mich der Stock getroffen hat.«
Er zeigte vorn auf sein Hemd und da war tatsächlich ein dunkelbrauner Fleck, etwa in Brusthöhe.
»Hmm«, sagte Aluph und strich sich nachdenklich über das Kinn. »In meinen Augen sieht das wie ein Brandfleck aus.«
»Kannst du dich, was diesen Mann betrifft, an etwas Besonderes erinnern?«, fragte Beag.
Pin runzelte die Stirn. »Eigentlich nicht. Es war so neblig, dass ich ihn nicht deutlich sehen konnte. Aber ich weiß, dass er mir noch die Taschen ausleeren wollte, bevor ich gefallen bin.«
»Interessant«, sagte Aluph. »Aber ich glaube nicht, dass er das vorhatte.«
»Was dann?«, fragte Pin.
»Ich denke«, sagte Aluph bedächtig und griff dabei in Pins Manteltasche, »er hat etwas reingesteckt.« Und mit einer schwungvollen Geste zog er einen silbernen Apfel heraus.
»Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt!«, schnaufte Mrs Hoadswood. »Pin ist dem Silberapfel-Mörder entkommen!«
Kapitel 28
Artikel aus dem
Daily Chronicle
von Urbs Umida
Ein glücklicher Ausgang
Von Deodonatus Snoad
Verehrte Leser,
es gibt wohl inzwischen kaum mehr jemanden, der nichts von dem Wunder gesehen oder zumindest gehört hat, das sich in der vorgestrigen Nacht zutrug, als der Foedus nach
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