Silbertod
stundenlangem Ächzen endlich zur Ruhe kam und vollständig zufror. Nach bestätigten Angaben ist das Eis mindestens einen halben Meter dick. Schon wimmelt es auf der Fläche von Buden und Verkaufsständen, in denen alles Mögliche angeboten wird: Strumpf- und Schnürbänder, heiße Getränke und Gebäck, Schinken in Brotteig, und natürlich treten Unterhaltungskünstler auf. Ich glaube, auch unser hiesiger Kartoffelweitwerfer führt Hinz und Kunz seine fragwürdige Fertigkeit vor.
Doch trotz all dieser Belustigungen und Spielereien gibt es weitaus wichtigere Dinge zu bedenken. Urbs Umida ist ohne Zweifel (und damit möchte ich keinen der werten Bürger kränken) eine grässliche Stadt, die in elenden Zeiten dahinvegetiert. Eine Stadt, bewohnt von hässlichen, gemeinen Kreaturen, manche kaum als Menschen zu erkennen; eine Stadt ohne Selbstachtung, eine Stadt, durchdrungen von Hoffnungslosigkeit und Schmutz und durchquert vom stinkenden Wasser des Foedus.
Und es ist eine Stadt, die Mörder hervorbringt.
Diese Gattung ist es, mit der ich mich heute näher befassen möchte, und hier wiederum besonders mit dem Silberapfel-Mörder, der uns in diesen Wochen in seinem tödlichen Griff hat. Wir wollen uns diesen Mann also genauer ansehen, und ich spreche von einem »Mann«, da es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass es eine Frau oder ein Tier sein könnte. Außerdem ist auch die Überzeugung zu hören, dass das schöne Geschlecht weder den Verstand noch die Kraft zur Ausführung derart schrecklicher Verbrechen besitze. Ich für meine Person kann mich dieser Meinung nicht ohne Weiteres anschließen, doch das ist ein Thema für ein andermal.
Deodonatus legte seine Feder auf den Tisch und lehnte sich im Sessel zurück. Er grinste spöttisch und runzelte gleichzeitig die Stirn, was ziemlich anstrengend war. Frauen konnten nicht grausam sein? Wie töricht. Er musste fast lachen und hätte es auch getan, wäre nicht ein schmerzhafter Stich durch sein verwundetes Herz geschossen, wenn er an seine Mutter dachte. Sein Vater hatte ihn geschlagen, und zwar aus keinem anderen Grund als der Tatsache, dass ihn das Gesicht seines Sohnes an seine eigenen Unzulänglichkeiten erinnerte. Doch seine Mutter war es gewesen, die den größten Einfluss auf ihn ausgeübt hatte. Ihre Methode, ihn zu quälen, hatte anders ausgesehen. Sie wirkte nicht äußerlich, hinterließ keine sichtbaren Spuren auf seinem Körper, dafür aber tiefe Verletzungen in seiner Seele. Tag und Nacht hatte sie ihn mit ihren boshaften Blicken und bissigen Bemerkungen verfolgt. Er erinnerte sich an den Augenblick, als er die beiden zum letzten Mal gesehen hatte. Sein Vater unter der Tür stehend, ein Grinsen im Gesicht und die volle Geldbörse in der Hand. Und seine Mutter, wie sie zum letzten Mal das Wort an ihn richtete. Hatte er denn wirklich etwas anderes erwartet?
»Du Teufel!«, keifte sie. »Du elende Missgeburt! Scher dich hin, wo der Pfeffer wächst!«
Unbewusst wischte sich Deodonatus über die Wange, dort, wo ihn vor so vielen Jahren ihr Speichel getroffen hatte. Er nahm die Feder zur Hand und schrieb weiter.
Ich muss wohl kaum erklären, wer meiner Meinung nach für diese Gewalttaten verantwortlich ist. Schonlange bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei dem Silberapfel-Mörder und dem flüchtigen Oscar Carpue um ein und dieselbe Person handelt. Es liegt durchaus im Bereich des Vorstellbaren, dass ein Mann, der verbittert ist durch den Verlust seiner Frau, einen seelischen Zusammenbruch erleidet und schlichtweg wahnsinnig wird. In diesem Zustand kann er gut in der Menge untertauchen, unsichtbar für uns alle, denn in dieser Stadt gibt es weiß Gott keinen Mangel an Verrückten.
Was sein Motiv angeht, nun, Unzurechnungsfähigkeit ist Motiv genug. Doch ob wahnsinnig oder nicht, wichtiger ist meiner Ansicht nach, dass wir ergründen, warum diese Morde stattfinden. Und dazu müssen wir versuchen, den Mörder besser zu verstehen. Er will uns etwas sagen. Das zeigt schon allein der Silberapfel.
Mir ist der Gedanke gekommen, er glaubt vielleicht, der Gesellschaft einen Dienst zu erweisen, indem er die Straßen befreit von denen, die er für unerwünscht hält. Bisher jedoch waren seine Opfer immer einfache Bürger. Das erste war eine Wäscherin, das zweite ein Schornsteinfeger, das dritte ein Straßenkehrer, das vierte ein Kohlenhändler, das fünfte ein Dienstmädchen, das sechste ein Hausierer, der Gin verkaufte, das siebte ein Perückenmacher, und
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