Silence
die einzige, die diesen Wahnsinn beenden kann.«
»Welchen Wahnsinn?«
»Seit der Kriege haben wir uns versteckt«, sagte Mrs. Walsh. Sie lief jetzt in ihrer Zelle auf und ab, weswegen ich sie mal lauter und mal leiser hörte, wenn sie sich von den Löchern, die in den Scheiben waren, entfernte.»Am Anfang war die Idee gut, doch im Laufe der Zeit sind deine Eltern immer fanatischer geworden. Du musst wissen, sie haben ihren Sohn im Krieg verloren.«
»Ich hätte einen Bruder?« Jetzt war ich wirklich überrascht. Ich hatte mich schon oft gefragt, wie es wäre, einen Bruder oder eine Schwester zu haben.
»Ja. Deine Eltern haben seinen Verlust nie überwunden. Um andere Kinder zu schützen, und vielleicht auch ihre zukünftigen, haben sie dann beschlossen, Städte wie Silence zu gründen, in denen ihr in Ruhe aufwachsen könnt, bis es zu eurer Wandlung kommen würde. Um diese Städte geheim zu halten, durften nur wenige Werwölfe in ihnen leben. Angehörige der Morgendämmerung.«
»Ich habe im Saf e meines Vaters dieses Buch gefunden, auf dem Morgendämmerung stand«, warf ich ein.
»Es enthält die Namen der Werwölfe in der Stadt, Geschichtliches und unsere Gesetze, für deren Einhaltung die angehörigen der Morgendämmerung zuständig sind. Sie sind die mächtigsten unter uns, die, die zu hundert Prozent reinrassige Wölfe sind.« Sie seufzte hörbar. »Lisa, sie setzen ihre Gesetze notfalls mit Gewalt durch. Wir anderen werden unterdrückt. Deine Eltern sind die Alfas. Kein Wolf würde es wagen, sich ihnen zu widersetzen.«
»Mischlinge?«
»Ja, und wir Menschen, und diejenigen unter den Mischlingen, die sich nicht wandeln. Mischlinge, die sich nicht wandeln, sind die Omegas, die unwichtigsten im Rudel. Es gibt menschliche Familien, die seit Jahrhunderten unter den Wölfen leben. Irgendwann war ein Vorahn in unseren Stammbäumen mal ein Mischling. Das hat uns zu einem Teil der Wölfe gemacht. Seit es nur noch wenige Werwölfe gibt, ist man dazu übergegangen durch Zwangsheirat die Population wieder zu erhöhen. Wir werden nicht gefragt, man zwingt uns zur Ehe mit einem Wolf. Mein Sohn wurde auch in so eine Ehe gedrängt. Er ist eins der Mischlingskinder, das sich nie gewandelt hat. Genau wie ich. Wir sind in ihren Augen auch nur Menschen. Er hat sich das Leben genommen, weil seine Frau ihn kontrolliert hat. Ich habe ihm nicht beistehen können, weil die Kolonien untereinander keinen Kontakt haben dürfen.«
»Aber, ich hatte nicht das Gefühl, dass meine Eltern sich nicht lieben würden.« Okay, meine Mutter hatte in ihrer Ehe eindeutig das Sagen, aber dass mein Vater unterdrückt wird, das kam mir nie so vor.
»Weil dein Vater deine Mutter wirklich liebt. Vielleicht ist auch sie zu so etwas wie Liebe fähig.« Mrs. Walsh lief wieder auf und ab, dann blieb sie vor der Scheibe stehen. Ihr lockiges Haar wirr, die Augen eingefallen. »Wir sind Sklaven, Lisa. Nichts anderes. Und auf Flucht, steht der Tod. Nur eine Herrscherin, die Vertrauen darin setzen kann, dass die Vampire sich geändert haben, kann dem Allen ein Ende setzen. Deswegen wollte ich, dass du siehst, dass sie sich verändert haben. Ich habe von der Abenddämmerung gehört. Viele von uns haben davon gehört und setzen all ihre Hoffnung auf den neuen Anführer der Vampire. Wenn du mit ihm einen Handel eingehen könntest …«
Ich wusste nicht, was ich zu all dem sagen sollte, was ich davon halten sollte? Ich war fassungslos, wenn stimmte, was Mrs. Walsh sagte, dann waren wir Wölfe nicht besser, als die Vampire vor Jahrhunderten. Andererseits, hatte Mrs. Walsh mich auch in Gefahr gebracht, indem sie den Vampiren vertraut hatte. Was, wenn ich nicht an Giovanni und Ermano geraten wäre, sondern an Vampire wie Vincenzo. Genau genommen, war ich an ihn geraten.
»Wie konnten sie sich so sicher sein, dass die beiden Vampire keine Gefahr für mich waren? Fast wäre ich eine von Vincenzos Zuchtstuten geworden«, warf ich ihr vor, konnte aber keine richtige Wut aufbringen. Und das lag nicht an dem Medikament, sondern an der Ungeheuerlichkeit, von der sie mir berichtete. Ich verstand, warum sie glaubte, einen Weg finden zu müssen, das zu beenden.
»Also sind die Menschen und die Werwölfe, die sich nicht verwandeln können, Sklaven? Wie das? Können sie nicht einfach gehen?«
»Das würden die Wölfe nicht zulassen. Sie sehen uns als Eigentum an. Wir arbeiten als Lehrer, Haushälterinnen oder sorgen eben für die Fortpflanzung oder für den Anschein,
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