Silence
nächste Zeit mein Zuhause. Für gewöhnlich klopfte man nicht an sein eigenes Zimmer. Wie waren die Regeln in einem Internat? Ich wusste es nicht. Ich entschied mich, meiner schlechten Laune, die durch Medikamente gedämmt wurde, von der ich aber wusste, dass sie da sein sollte, zu folgen und einfach einzutreten. Ich riss die Tür auf und trat in ein recht geräumiges Zimmer, das sehr übersichtlich auf zwei Personen abgestimmt war. Vom Bett bis zum Schreibtisch war alles genau zweimal da. Der eine Teil der Möbel stand rechts der Tür, der andere Links. Mit dem Rücken zu mir auf der rechten Seite am Schreibtisch saß ein dunkelhaariges Mädchen. Sie wandte sich nicht einmal um, als ich das Zimmer betrat. Ich ging davon aus, dass die linke Seite dann wohl mir gehörte.
Ich trat vor den Kleiderschrank, öffnete ihn und fand etwa fünf Ausgaben der gleichen Uniform darin vor. Die gleiche, die auch das Mädchen auf der anderen Seite zu tragen schien.
»Hallo«, sagte ich. »Ich bin Lisa.«
»Ich weiß«, murmelte die andere, wandte sich nun endlich um und mir fiel fast das Herz aus der Hose.
»Kate!«, rief ich erfreut aus und wollte gerade auf sie zulaufen, als ich bemerkte, dass sie sich gar nicht regte. »Stimmt was nicht?«
»Was machen deine Freunde? Ich hoffe, du hattest deinen Spaß unter den Mördern.«
Perplex starrte ich meine Freundin an. Sie trug die gleiche eiserne Maske, die ich bisher bei all denen gesehen hatte, die unweigerlich Werwölfe waren. Nur in ihren Augen blitzte so viel Hass und Abscheu, dass ich tatsächlich nicht weiter auf sie zuging, sondern zurück auf me ine Hälfte des Zimmers auswich.
»Du weißt, dass sie keine Mörder sind«, sagte ich fast weinerlich.
»Bist du dir da sicher? Ich hab was anderes gehört.«
Mir klappte vor Fassungslosigkeit der Mund auf. »Wenn ich dir irgendwie wehgetan habe, wenn ich etwas falsch gemacht habe, dann tut es mir leid.«
»Außer, dass du dich mit dem Feind verbündet hast?«
Kate winkte ab und wich meinem fragenden Blick aus. »S chon gut, lass uns einfach das Geschäftliche hinter uns bringen. Ich soll dir alles zeigen, was du wissen musst«, sagte sie mit der gleichen gleichgültigen Kälte in der Stimme, die ich schon von meinen beiden Müttern kannte. Lag das nur an dem Medikament? Aber nein, ich war mir sicher, dass man mir meine Ratlosigkeit nicht nur ansah, sondern auch anhörte.
»Na dann mach mal.« Ich warf ihr einen enttäuschten Blick zu. So hatte ich mir unser Wiedersehen nicht vorgestellt.
»Im Erdgeschoss findest du die Schüler, die die Wandlung noch vor sich haben. Die meisten von uns meiden den Kontakt mit ihnen. Freundschaft mit jemandem zu schließen, der wahrscheinlich sowieso nicht überlebt … das braucht man einfach nicht. Auf unserer Etage sind die Frischlinge, frisch verwandelt. Ab dem dritten Jahr nach der Verwandlung ziehen wir nach oben um. Nach unserer Ausbildung weist man uns einen Partner zu und eine Kolonie, in der wir unsere Kinder großziehen werden. Das Leben in einer Stadt wie Silence, wir nennen sie die Kolonien, kommt nur für die besten unter uns infrage. Alle anderen werden zu Soldaten ausgebildet und dienen dem Schutz unseres Volkes. Für dich wird alles etwas anders laufen, du wirst innerhalb dieser Mauern leben. Das Internat ist die sicherste Festung, die wir besitzen, weswegen hier auch die wichtigsten unseres Volkes leben.«
Kate stand auf sah mich kurz an, dann trat sie auf eine schmale Tür zu, die neben ihrem Kleiderschrank in einer Ecke versteckt war. »Unser Bad. Nicht jedes Zimmer hat ein eigenes Bad, unseres schon, da du die Prinzessin bist. Mahlzeiten gibt es im Speisesaal in der Schule. Frühstück um 7 Uhr, Mittag um 12.30 Uhr, Abendbrot um 19.30 Uhr. Um 22.00 Uhr geht überall das Licht aus.«
»Ich habe dir geschrieben, warum hast du nicht geantwortet«, warf ich ihr mit Blick auf den Laptop auf ihrem Schreibtisch vor.
»Zum einen haben wir kein Internet, zum anderen war ich mit meiner Wandlung mehr als beschäftigt. Außerdem ist uns jeglicher Kontakt nach außen verboten.«
Nicht, dass wir von hier überhaupt irgendwie nach »draußen« kommen würden, dachte ich sarkastisch. »Ich ha be mir Sorgen um dich gemacht.«
Und ich mache mir Sorgen um Giovanni und Ermano. Wie sollte ich das hier nur schaffen, ohne zu wissen, ob es ihnen gut ging? Ließ das Medikament nach oder war meine Angst um die beiden nur mächtiger als jede Droge die sie mir hier verabreichen könnten. Der
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