Silence
standen vor einem niedrigen Flachbau, der wohl nur als Gefängnis diente. Links und rechts davon befanden sich zwei kleine Parks mit Bäumen, Kieswegen und Bänken. Vor uns eine recht große Wiese, die von mehreren Wegen durchbrochen war, und dann das Gebäude, das ich schon aus dem Internet kannte. Es wirkte wie ein Schloss, in etwa wie das Potsdamer Stadtschloss, nur nicht ganz so riesig. Hinter dem Hauptgebäude reckten sich die Alpen in den Himmel. Ich konnte sogar das Schloss Neuschwanstein sehen. Genau gegenüber dem Gefängnis gab es ein Gebäude, das etwas kleiner war als das Hauptgebäude. Darauf hielten wir zu. Auf dem Weg dort hin ließen wir noch fünf kleinere Häuser liegen und eine kleine Kapelle. Und mehrere Meter der hohen grauen Mauer, die ich auch schon aus dem Internet kannte.
Lissianna lief mit ihren hohen Absätzen recht sicher auf dem Kiesweg vor mir her. Sie blickte sich kein einziges Mal zu mir um, während sie mir erklärte, welches Gebäude, welche Funktion hatte.
Das Hauptgebäude war die Schule. Als wir etwa die Mitte der Wiese erreicht hatten, blieb ich wie angewurzelt stehen. Mit offenem Mund starrte ich auf den Springbrunnen, der dort vor einem majestätischen Pavillon stand. Dieser Brunnen war eine genaue Kopie des Brunnens im Garten meiner Adoptiveltern.
Lissianna wandte sich zu mir um, als sie bemerkte, dass ich stehen geblieben war. »Ja, deine Alexandra hat ihn nachbauen lassen.«
»Du meinst, meine Mutter.«
»Das ist sie jetzt nicht mehr. Sie hat ihre Aufgabe erfüllt. Mit deiner ersten Wandlung bist du erwachsen. Du benötigst keine Eltern mehr. Nur noch Anleitung durch unsere Lehrer.« Sie ging weiter und das hieß wohl auch für mich, nicht länger herumzustehen. »Als zukünftige Herrscherin wirst du natürlich zusätzlichen Unterricht bekommen.«
»Natürlich«, murmelte ich und stapfte wütend hinter ihr her. »Bekomme ich auch irgendwann Ausgang aus dieser Irrenanstalt?«
»Nicht im ersten Jahr. Und du musst uns erst beweisen, dass wir dir vertrauen können. Dein kleiner Ausflug hat kein besonders gutes Licht auf unsere Familie geworfen. Die Tochter des Herrscherpaares sympathisiert mit dem Feind. Du kannst dir nicht vorstellen, was für eine Enttäuschung du für uns bist.«
Hah, und ob. Ich war doch schon für meine Adoptiveltern eine Enttäuschung, warum sollte das bei meinen leiblichen anders sein? Nur interessierte mich das kein bisschen mehr.
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie enttäuscht ich war, als ich erfahren habe, was ihr uns antut«, sagte ich betont wütend.
»Du wirst bald verstehen, warum wir so vorgehen.« Sie blieb vor dem zweitgrößten Gebäude stehen. »Da wären wir, das Wohngebäude. Rechter Eingang Jungen, linker Mädchen. Die vorderen Zimmer jeder Etage bewohnen jeweils die Lehrer.«
»Ich blickte die drei Etagen nach oben. »Von wegen mit der ersten Wandlung erwachsen«, murmelte ich und rollte mit den Augen bei so viel Überwachung. Hohe Mauern, rund um die Uhr Überwachung, wie sollte ich hier nur jemals rauskommen?
Sie ignorierte meinen Kommentar und betrat nach mir das Haus. Gleich hinter der Tür gab es ein Wachzimmer. Hinter der Glasscheibe saß wieder ein Mann, er nickte Lissianna kurz zu und verneigte sich. Es wirkte alles sehr nobel. Grüner Marmor auf dem Boden, weißer an den Wänden, Säulen links und rechts der Treppen. Wir stiegen in das erste Obergeschoss hinauf, ließen sieben Türen hinter uns, vor der achten blieb Lissianna stehen.
»Dein Zimmer. Wegen Kleidung musst du dir keine Gedanken machen, es gibt Schuluniformen. Deine Mitbewohnerin hat dir schon welche in deiner Größe besorgt und auch sonst alles beschafft, was du hier brauchen wirst. Herzlich Willkommen. Unterrichtsbeginn morgen um 8.00 Uhr. Pünktlich.« Damit wandte sie sich ab und ließ mich vor der dunklen Holztür stehen.
Einen Augenblick stand ich unschlüssig im Flur. Am liebsten wäre ich gleich wieder aus dem Haus gerannt und hätte versucht, dieses verfluchte Internat zu verlassen, und wenn ich dafür über diese verdammten Mauern klettern musste, aber eine gescheiterte Flucht, würde mich nicht weiterbringen. Sie würden mich nur wieder einsperren. Ich musste meine Flucht besser vorbereiten. Aber zuerst musste ich einen Weg hier raus finden. Ohne den gäbe es auch keine Flucht.
25. Kapitel
Ich stand vor der Tür, blickte auf das Holz und überlegte, ob ich anklopfen sollte, oder einfach eintreten, schließlich war dieses Zimmer für die
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