Silence
zweimal. Einmal aus dem Ruhezustand heraus. Einmal, nachdem wir eine Runde über den Schulhof gelaufen sind.« Er nickte zum Fenster heraus.
»Lisa, ist das dein richtiger Name oder eine Abkürzung?«, murmelte Ermano in die allgemeinen Laute der Entrüstung hinein.
»Lissiana. Eigentlich heiße ich Lissiana«, sagte ich.
Ermano griff nach meiner Hand und legte seine warmen Finger auf meinen Puls. »Gefällt mir«, antwortete Ermano, ohne mich anzublicken.
Während Giovannis Stimme eher heiser klang, als hätte er zu laut und zu lange gesungen, war Ermanos Stimme weich wie samt.
»Mir nicht.« Ich mochte meinen vollständigen Namen noch nie.
»Warum nicht?«, wollte Ermano wissen und seine Augen bohrten sich in meine. Ich senkte mein Gesicht, bevor er die Röte sehen konnte, die gerade hineinzusteigen drohte.
»Er hat so was von einer mittelalterlichen Aristokratin«, sagte ich kleinlaut.
Ermano lachte. »Ist italienisch.«
»Und?«, fragte ich kühl, denn ich hatte nicht vergessen, wie abweisend Ermano mich heute Morgen behandelt hatte. »Wie viel?«
»Was?« Ermano musterte aufmerksam meine Haare, dann meine Hand, die er noch immer in seiner hielt.
»Puls?«
Ermano grinste. »Leicht erhöht. Fünfundsiebzig. Bist du nervös?«
Ich und nervös? Nein, überhaupt nicht. Wie sollte ich? Ich saß nur neben einem Jungen, dessen Launen mich verrückt machten. Von einer Sekunde auf die andere schien er seine Meinung über mich zu wechseln. Wenn diese geheimnisvolle Art, die ihm anhaftete, nicht so unglaublich anziehend auf mich wirken würde, täte ich das einfach mit einem Schulterzucken ab. Obwohl er sich so merkwürdig verhielt, fand ich ihn auf eine Art interessant, über die ich mich ärgerte. Er hatte etwas an sich, das mir ein Kribbeln in den Bauch jagte. Und einen Teil von mir wurmte es, dass er mich so offensichtlich nicht leiden konnte. Bei den anderen in meiner Klasse war es mir fast egal, aber bei ihm?
Ich schluckte den Kloß runter, der sich in meinem Hals gebildet hatte. »Jetzt du.«
Ermano reichte mir sein Handgelenk. Zitternd legte ich meine Finger auf seinen Puls. Seine Haut fühlte sich warm und glatt an. Ermanos Puls war ganz ruhig und gleichmäßig. Während ich die Schläge unter seiner Haut zählte, blickten wir uns stumm in die Augen. Seine Miene war wieder eine steinerne Maske, aus der man nicht lesen konnte.
Ich nutzte den Augenblick, um in seinen Kopf einzudringen, nur um wieder auf diese Mauer zu stoßen. Erm anos Augen blitzten kurz auf. Fast als wäre es eine Reaktion auf meinen Versuch, seine Gedanken zu lesen.
»Fünfundfünfzig. Sehr ruhig«, sagte ich.
Ermano notierte unsere Messungen in das Protokoll, dann zog er seinen Stuhl näher an meinen, um mir die Blutdruckmanschette um den Oberarm zu legen. Sein Gesicht kam meinen so nahe, dass ich ängstlich die Luft anhielt.
»Du und mein Bruder, das ist nicht gut.«
»Nicht gut? Wie meinst du das?« Ich runzelte die Stirn.
»Er ist nicht gut für dich. Glaub mir.«
Sollte das eine Warnung sein? Warum sollte Giovanni nicht gut für mich sein? Im Gegensatz zu anderen hier behandelte er mich sehr gut. Ich fühlte mich wohl in Giovannis Nähe. Und die Tatsache, dass er irgendwie die fremden Stimmen aus meinem Kopf fernhielt, machte ihn nur umso sympathischer. Er hatte die Fähigkeit, seinen Schutzschild, ob bewusst oder unbewusst, irgendwie auf mich zu erweitern.
»Warum?«, fragte ich, unfähig meine Wut zu verbergen, weil Ermano es sich anmaßte, sich zwischen Giovanni und mich zu drängen.
»Er und Mädchen, das ist so eine Sache. Ich will nur nicht, dass er dir wehtut.«
Ich schluckte. Ein Knoten bildete sich in meinem Magen. Instinktiv wusste ich, Ermano hatte recht. Aber ich wollte nicht, dass er recht hatte. Und warum sollte ich auf jemanden hören, der mich noch vor wenigen Stunden mit seinen Blicken erdolchen wollte?
»Ich komm schon klar«, sagte ich murrend.
»Ich wollte mich nicht einmischen.« Ermano musterte mich kurz. »Wäre schade, wenn der Retter sich als Feind entpuppt.«
»Als Feind? Gibt es da einen Bruderkrieg, von dem ich wissen sollte?«, fragte ich trotzig.
Ermano lachte leise auf und warf seinen Kopf in den Nacken. »Bruderkrieg. Wenn es nur das wäre.«
Ich drehte mich von Ermano weg und wandte mich Kate zu, die die Szene mit großem Interesse verfolgt hatte. Lass dich nicht verunsichern. Giovanni scheint wirklich nett zu sein .
Ich hatte nicht vor, mich verunsichern zu lassen. Giovanni war
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