Silence
Tagesordnung. Einige in Kriegen und den einen oder anderen habe ich auch ausgesaugt. Aber das ist schon Jahre her. Mit dem Fortschritt der Menschen mussten auch wir uns anpassen und vorsichtiger werden.«
»Du würdest also, wenn du nicht fürchten müsstest aufzufliegen, noch immer gerne töten?«, fragte ich wütend und enttäuscht zugleich.
»Nein. Ich habe nie gerne getötet. Wenn ich einen Menschen umgebracht habe, dann nur, um mich zu schützen, oder weil es ein Unfall war. Kurz nach der Wandlung, da macht man noch Fehler …« Giovanni hatte sich neben mich gelegt und starrte ebenfalls zum Dach hinauf.
»Fehler?«, hakte ich nach und richtete mich auf, damit ich Giovanni ansehen konnte.
»Naja, Nahrung zu sich nehmen ist nicht so einfach, wie das im Kino gerne dargestellt wird. Und wenn man zu lange damit wartet, wird man ungestüm, zu grob, reißt große Wunden in sein Opfer oder man nimmt einfach zu viel. Und dann kommt es schon einmal vor, dass der Mensch stirbt. Mit den Jahren lernt man, es besser zu machen.«
Ich wollte Giovanni gerne fragen, was mit mir war, aber ich fürchtete mich vor der Antwort. Wenn Giovanni wirklich ein Vampir war, was war dann ich? Was war denkbar in einer Welt, in der es wirklich Monster gab. Was hatte sich das Leben für mich ausgedacht? Aus dem Augenwinkel betrachtete ich den Jungen neben mir, der behauptet hatte, er wäre fast dreihundert Jahre alt. Wenn das stimmte, wäre Vampirismus eine Revolution für die Kosmetikbranche.
»Was machen zwei Vampire auf einer Highschool?«, fragte ich nach einer Weile in die Stille hinein.
»Die Wahrheit?«
»Ja, wenn das möglich wäre.«
»Ich sah darin die einzige Möglichkeit, an dich heranzukommen.«
Ich schluckte. An mich heranzukommen. Hieß das, ich lag hier gerade auf einer Matratze, gemeinsam mit einem Vampir, der hinter mir her war, um aus mir seinen nächsten Stammsnack zu machen?
»Und Ermano?«
»Der spielt den Aufseher und erfüllte den Auftrag seines Meisters. Der Grund, weswegen wir überhaupt hier sind«, sagte Giovanni scharf.
»Auftrag?«
»Darüber kann ich nicht reden. Aber wir haben ihn erfüllte und werden bald abreisen.«
Giovanni lag ruhig auf der Matratze ausgestreckt. Seine Brust hob und senkte sich regelmäßig wie bei einem Menschen. Seine Haut fühlte sich warm an, das wusste ich. Er hatte mich bei unzähligen Gelegenheiten berührt. Ermano hatte einen Puls. Das hatte zumindest unser Experiment in Biologie gezeigt. Also vermutete ich, dass auch Giovanni einen hatte.
Giovannis Mundwinkel zuckten. Er setzte sich auf und hielt mir sein Handgelenk hin. »Fühle.«
Meine Finger zitterten etwas, als ich sie auf Giovannis Handgelenk legte. Ich tastete die Stelle ab, an der der Puls sein sollte, fand aber nichts. Da war kein sanftes Pochen, seidig glatte Haut und Stille. Mit g erunzelter Stirn blickte ich ihn fragend an. Giovanni zuckte mit den Schultern.
»Nur Tarnung.«
»Tarnung. Ach so«, sagte ich ironisch.
»Wir müssen weder atmen, noch einen Herzschlag haben. Wir machen es nur für die Menschen.«
Also doch untot, dachte ich.
Giovannis Finger schoben sich langsam über die Decke, bis seine Fingerspitzen meine berührten. Sein Blick bohrte sich tief in meine Augen und ich konnte spüren, wie Hitze mein Gesicht überzog. Ich wusste, was er vorhatte, wusste, dass er mich jeden Augenblick küssen würde. Und ich wollte es auch, wollte es mehr als alles andere in meinem Leben. Ich wünschte mir so sehr, seine Lippen auf meinen zu spüren, aber ich konnte es nicht. Nicht jetzt. Nicht nach all dem, was ich heute erfahren hatte. Ich hatte zu viel Angst, die Kontrolle zu verlieren. Mich einem Wesen zu überlassen, über das ich nichts wusste.
Ich hatte immer die Kontrolle über mein Leben – wenn man meinen kurzen Exkurs in die Welt der Drogen einmal außen vor ließ. Es war mir wichtig, dass mein Leben so verlief, wie ich es vorgab. Und derzeit konnte man nicht behaupten, dass es noch lief, wie von mir geplant. Im Gegenteil, alles lief aus den Fugen. Jemand anders hatte die Führung übernommen. Und ich war nicht bereit, noch ein Stück meiner selbst aufzugeben.
Ich erhob mich von der Matratze, bevor es für einen Rückzug zu spät war. Giovanni lachte. Zornig schritt ich auf ihn zu, den Zeigefinger erhoben, wie eine Mutter, die ihr Kind schalt.
»Was bitteschön ist so witzig?«
»Du fliehst vor deinen Gefühlen. Es gibt derzeit nicht viel in deinem Leben, dessen du dir sicher bist. Aber was
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