Silent Control | Thriller
Wenigstens verfüge ich über ausreichend Geld und Beziehungen, dachte er, als er Nova ins Wohnzimmer folgte.
Interessiert sah er sich um. An einer weinrot gestrichenen Wand hingen vom Boden bis an die Decke Handtaschen in allen Größen, Farben und Mustern. Einige hätten jeder Großmutter zwischen Malmö und Stockholm gefallen, andere waren voller bunter Knöpfe, Buttons oder Flicken. Novas Taschentick hatte schon öfter für amüsierte Kommentare gesorgt. Wie ein Gesamtkunstwerk wirkte diese Installation von Skurrilitäten.
Kilian blieb vor dem Fenster zur Straße stehen, während Nova ihre Schuhe anzog. Sie nahm ein paar Scheine aus einer kleinen Kommode und stopfte sie in ihren Geldbeutel. Unter einem grauen Sofa zog sie zwei Motorradhelme hervor.
»Los, wir sollten schleunigst verschwinden!« Sie drückte Kilian einen Helm in die Hand und zog ihn vom Fenster weg. »Vorsicht. Ich werde seit Torbens Verschwinden beobachtet. Heute früh war der Wagen endlich weg, aber jetzt ist er wieder da.«
Das war verwirrend. Wieso sollte man Nova noch im Visier haben?, fragte sich Kilian. Die Schweden konnten doch nicht ernsthaft glauben, dass Torben hier noch einmal auftauchte.
Sie runzelte die Stirn. »Mein Motorrad steht dummerweise direkt vor der Tür. Na ja, egal. Schon mal hintendrauf mitgefahren?«
Kilian schüttelte den Kopf. Doch er hatte wohl keine andere Wahl, als Novas Fahrkünsten zu vertrauen.
»Wo willst du hin?«
Verschwörerisch legte Nova einen Finger an den Mund und flüsterte: »Ins Landhaus, da sind wir erst mal sicher.«
Sie schlichen die Treppe hinunter und traten auf die Straße. Dort stand die schwarze 500er Honda, ein echtes Geschoss, das Nova secondhand gekauft hatte. Sie schaute missbilligend zu dem weißen Volvo, in dem die Konturen eines Mannes zu erkennen waren. Wieder bemerkte Kilian die Entschlossenheit in ihren Augen. Dennoch fragte er sich, wie es ihnen gelingen sollte, so ohne Weiteres aus Stockholm zu flüchten. Der Schnee war zwar überall geschmolzen, aber die Straßen waren noch nass und rutschig.
»Festhalten, das wird keine Spazierfahrt«, warnte sie und startete den Motor. Mit einer eleganten Drehung fuhren sie zunächst im Schritttempo die Straße hoch. Der Volvo setzte sich sofort in Bewegung und wendete. Als Nova sich in die erste Kurve legte, konnte Kilian im Rückspiegel sehen, dass der Wagen ihnen in einigem Abstand folgte.
Dann gab Nova etwas mehr Gas. Kilian umschlang mit beiden Armen ihre Mitte und presste seine Beine mit aller Kraft an die Maschine. Der Volvo folgte ihnen weiter in einem Abstand von etwa fünfzig Metern.
In der Nähe des Carls-Elchs-Museums lenkte Nova ihre Honda in den Kreisverkehr, der auf die Bundesstraße Roslagsvägan führte. Doch statt diesen Weg zu nehmen, umrundete sie das Rondell einmal komplett und legte dabei das Motorrad so tief, dass sie mit ihren Knien fast den Asphalt berührten. Dann bog sie wieder auf die Straße ein, aus der sie gekommen waren. Sie konnten das verdutzte Gesicht des Volvofahrers erkennen, als er auf der Gegenfahrbahn an ihnen vorbeirauschte.
Geschickt nutzte Nova den Moment, in dem sie sich für ihren Verfolger im toten Winkel befanden, und lenkte ihr Vehikel blitzartig in die Straße zum Museum. Von dort holperte sie mitten durch den Bellevuepark weiter. Es war ein äußerst riskantes Unterfangen. Der aufgeweichte Rasen war voller Steine und Unebenheiten, immer wieder brach das Motorrad seitlich aus.
Die Karre fliegt gleich auseinander, dachte Kilian, während er sich krampfhaft an Nova klammerte. Nova steuerte ihre Honda geradezu virtuos über das Gelände. Das Bike schlingerte zwar gefährlich hin und her, doch nach einem letzten Aufheulen des Motors erreichten sie die Bundesstraße jenseits des Parks.
Kilian hing immer noch wie ein Äffchen an Novas Körper, als sie mit Vollgas die Roslagsvägan hinunterschossen. Ihren Verfolger hatten sie abgehängt.
Nova riss einen Arm hoch und wandte sich halb zu Kilian um.
»Yippiie! Wir haben’s geschafft!«
Nach einer Dreiviertelstunde erreichten sie das einsam gelegene Landhaus, das Novas Vater gehört hatte. Es lag gute hundert Meter von der Straße entfernt, umgeben von dichtem Wald. Am Ende der von Bäumen verdeckten Einfahrt tauchte ein gelbes Holzhaus mit einer weitläufigen überdachten Veranda auf. Ihre Balken waren weiß gestrichen, die Fensterbänke bestanden aus dunklem Edelholz, und die Fenster des ersten Stocks waren mit grünen Läden
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