Silenus: Thriller (German Edition)
haben. Uns hat man erzählt, er hätte sich das selbst angetan.«
Die tiefe Stimme keuchte. »Sich selbst? Wie merkwürdig …«
George wusste nicht, wovon sie sprachen, aber dank der Stille und dem Verhalten der Schatten wusste er, dass sie Wölfe sein mussten. Er hielt noch immer den Globus und den Zylinder in Händen. Nun legte er beides ab und schlich auf Zehenspitzen den Gang hinunter in der Hoffnung, es bis zu der Hintertür zu schaffen, durch die die Requisiten verladen wurden. Dann aber musste er feststellen, dass das Theaterdach in diesem Bereich abgesackt war. Mächtige Holzbalken versperrten ihm den Weg.
»Er hat sich Farben gegeben«, fuhr die näselnde Stimme fort. »Und gerade kürzlich hörten wir, er würde daran denken, sich einen Namen zu geben.«
Ein weiteres Keuchen. »Nein!«, sagte die tiefe Stimme. »Das kann nicht wahr sein.«
»Doch. Das ist unser voller Ernst. Furchtbar, nicht wahr?«
»Ja. Wir nehmen an, dass das eine Nebenwirkung dessen ist, was er getan hat … Was er unseretwegen auf sich genommen hat.«
»Ja, so muss es sein«, sagte die näselnde Stimme. »Wir können uns nicht vorstellen, wie das sein mag. Es muss schrecklich sein, einfach zu … sein .«
Ihre Unterhaltung ergab für George immer weniger Sinn, aber er erinnerte sich an ein nahe gelegenes Zimmer mit einem Fenster: Van Hoevers Büro. Er wusste noch, wie er vor dem Schreibtisch seines Arbeitgebers gesessen hatte, dahinter ein Fenster, durch das Tageslicht hereinströmte … es war bestimmt noch da.
George schlich durch den Gang zum Büro des Direktors und öffnete langsam und vorsichtig die Tür.
»Moment!«, sagte die tiefe Stimme.
George erstarrte, überzeugt, dass sie ihn gehört hatten.
»Seht euch das an … war da oben nicht etwas drauf?«
»War da was?«, fragte die näselnde Stimme.
Sein Herzschlag wurde schneller. Sprachen sie von der Silenus-Attrappe?
»Schwer zu sagen«, sagte die näselnde Stimme jetzt. »All diese Kreaturen sehen für uns gleich aus. So viele Teile …«
»Wir sind überzeugt, da war was«, entgegnete die tiefe Stimme. »Ein Kopf. Es hatte einen Kopf.«
George drückte die Tür weiter auf und glitt in das Büro. Das Fenster war noch da. Er musste nur auf Van Hoevers Schreibtisch steigen, sich hinüberlehnen, es öffnen und hinausklettern.
Ein lautes Schnüffeln hallte von der Bühne herüber. »Hier ist etwas«, sagte die tiefe Stimme.
»Was?«, fragte die näselnde.
»Etwas war hier. Könnt ihr es nicht riechen? Es ist überall auf der Bühne.«
Mehr Geschnüffel. Dann krähte die näselnde Stimme: »Ja …«
George wusste, er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Er ging zum Schreibtisch und wollte gerade hinaufsteigen, als er auf der anderen Seite etwas sah und innehielt.
Jemand lag, alle viere von sich gestreckt, bäuchlings am Boden, beinahe, als wollte sich die Person vor ihm verstecken, doch hatte sie sich auch nicht gerührt oder aufgeblickt, als George den Raum betreten hatte.
George beugte sich herab und ging um den Schreibtisch herum, um sich ein genaueres Bild zu machen. Kaum tat er es, da sah er die Verfärbung am Boden, lange, braune Streifen, so, als wäre etwas Nasses von der Bühne hergeschleift worden, vermutlich von der Stelle, an der der große braune Fleck war. Sein Herz pochte heftig, und er fühlte, wie Schweiß über sein Kreuz rann. Dann hatte er den Schreibtisch umrundet und hätte sich beinahe übergeben.
Dort lag der Körper einer Frau, zumindest der größte Teil davon. Ihre Beine und ihr Rücken waren noch da, ebenso wie der überwiegende Teil eines Arms. George konnte sie zwar nur von hinten sehen, doch der Fleck auf dem Boden verriet ihm, dass sie zerfleischt worden war, möglicherweise sogar ausgeweidet, nur dank der Kälte waren ihre Überreste fast perfekt erhalten geblieben.
Erst erkannte er die Frau nicht, doch dann sah er ihre Hand, umwickelt mit Stoffstreifen, um die Arthritis zu lindern, und obwohl ihre Finger vor Kälte blau angelaufen waren, wusste er, es waren dieselben, die einmal dazu benutzt worden waren, drei Dinge aufzuzählen, die ihre Eigentümerin über ihn geschlussfolgert hatte, ehe sie ihn davor gewarnt hatte, das Theater zu verlassen.
Voller Entsetzen wich George bis zur Wand zurück und konnte sich nicht mehr regen oder den Blick abwenden. Er fiel auf die Knie und wäre beinahe vollends zusammengebrochen. Er hatte Irina nicht gut gekannt, aber sie war immer nett zu ihm gewesen, hatte stets auf ihn
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