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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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geachtet, auch wenn er es nicht verdient hatte. Sie verdiente solch ein Schicksal nicht. Niemand verdiente solch ein Schicksal, dachte George.
    Dann flog die Bürotür auf und gab den Blick auf eine massive Dunkelheit frei, so, als würde jenseits der Schwelle reine, finstere Nacht herrschen. Das Zentrum der Dunkelheit erbebte, und er sah, wie sich etwas Weißes, Fleischiges in den Raum schob. Als es langsam aus dem Dunkel hervortrat, erkannte George, dass es sich um eine Nase handelte, und unter ihr tauchte ein Kinn auf, dann, oben, eine Braue und dann ein Paar ausdrucksloser grauer Augen, die ihn geradewegs anstarrten.
    Mit der entschlossenen Zielstrebigkeit einer Krabbe, die sich aus ihrem Panzer befreit, brachte der Schatten das Bild eines Mannes mit einem grauen Mantel und einer schwarzen Melone hervor, und als er fertig war, schien er sich irgendwie in den Mann hineinzufalten. Der Mann in Grau legte langsam den Kopf auf die Seite wie ein neugieriger Hund. Mit einer tiefen Stimme, die George als diejenige erkannte, die er im Theater gehört hatte, sagte er: »Du. Man sagte uns, wir sollten Ausschau nach dir halten.«

20
     
    GEORGE TRIFFT EINEN VEREHRER
     
    George saß in der ersten Reihe des Zuschauerraums und war an die gepolsterte Lehne gefesselt. Die Wölfe, die nichts über die Funktionsweise von Lungen oder Venen wussten, hatten das Seil zu fest gespannt, und so war er bald kaum noch bei Bewusstsein. Er bettelte sie an, seine Fesseln ein wenig zu lockern.
    Die beiden Wölfe gingen im Kreis um ihn herum. »Woher wissen wir, dass du nicht wegläufst, sobald du wieder bei Kräften bist?«, fragte der Wolf mit der näselnden Stimme, der enorm groß und dürr war und eine gewaltige Hakennase hatte.
    »Nun … Sie sind vermutlich beide schneller als ich«, antwortete George keuchend. »S-sie hätten mich wahrscheinlich eingeholt, ehe ich die Tür erreiche.«
    Die Wölfe blieben stehen. »Das ist wahr«, sagte der mit der tiefen Stimme, der sehr dick und recht klein war. »Immerhin haben wir schon viel schwierigere Dinge getötet als ein barfüßiges Kind.«
    »Richtig, richtig«, sagte der Näselnde. »In den Ebenen von Edom haben wir den Nephilim nachgestellt und sie umgestürzt wie Türme.«
    »Wir haben Donnervögel gehetzt, bis sie nicht mehr fliegen konnten«, sagte der fette Wolf. »Und als sie gelandet sind, haben wir uns mit dem Zorn von Gewitterstürmen auf sie gestürzt.«
    »Wir schwammen im Dunkel der Meere und haben Selkies und Samebitos und Tritons verschlungen.«
    »Wir haben ganze Gebirge zu Fall gebracht.«
    »Und Kontinente.«
    »Und Sterne«, fügte der fette Wolf hinzu. »Das war in der alten Zeit, im Zuvor. Aber wir glauben nicht, dass wir das verlernt haben. Es wird kein Problem sein, ein Kind wie dich zu töten. Etwas, das so dürr ist und so schwach.«
    »Mit kaum einem Fetzen Fett am Leib.«
    »Nur purzelnde Knochen und erstickte Laute.«
    »Kleine Schreie, wie von einer kranken Katze.«
    »Das ist es beinahe nicht wert«, sagte der Fette.
    »Beinahe. Aber doch nicht ganz«, meinte der Näselnde und versuchte sich an einem Lächeln. In seinem ausdruckslosen, plumpen Gesicht war die Wirkung ausgesprochen beunruhigend.
    George war allerdings nicht sicher, ob das schon das Beunruhigendste an den Wölfen war. Vielleicht war die Art, wie ihre Erscheinungen und ihre Gesichter plötzlich verschwammen und bebten, als hätten sie vergessen, die Illusion aufrechtzuerhalten, noch beunruhigender. Vielleicht war es auch das Klicken ihrer Knochen und Zähne, wenn sie die Glieder streckten oder den Hals verdrehten und Posen einnahmen, die normalerweise Reptilien und Eulen vorbehalten waren.
    Doch er kam zu dem Schluss, dass es etwas gab, das all das in den Schatten stellte. Das Beängstigendste an den Wölfen konnte nur die Art sein, wie Licht und Raum sich in ihrer Gegenwart verhielten. Schatten schienen sich zu strecken, um über ihre Füße oder Hände zu streichen, so, als würden die Wölfe von der Finsternis angebetet werden. Wenn sie sich näherten, fühlte sich das ganze Theater höhlenartig und dabei doch beengt genug an, klaustrophobische Beklemmungen hervorzurufen, und George hatte das merkwürdige Gefühl, er würde über einem tiefen Abgrund baumeln. Ihre bloße Anwesenheit wirkte sich, so empfand er es, auf die Realität aus, dehnte sie, zerrte an Dimensionen, die er mit seinen normalen Sinnen nicht erfassen konnte. Sie waren Übergriffe reinster Art, Anomalien, die all die Regeln, auf

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