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Silenus: Thriller (German Edition)

Silenus: Thriller (German Edition)

Titel: Silenus: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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einsame, heruntergekommene Orte, an die sich seit Ewigkeiten niemand verirrt hatte. Mit der Zeit wirkte das Gartenhäuschen immer verlockender.
    Dann erreichte er einen Schatten, an dem er innehielt. Dort, am anderen Ende, konnte er einen großen, makellosen, leuchtend grünen Samtvorhang mit goldenen Quasten am unteren Ende erkennen. Daneben sah er vier große aufgerollte Leinwände, von einer war ein Teil abgerollt, gerade groß genug, dass George ein Stück eines Bildes erkennen konnte: Es zeigte die Ländereien eines riesigen Palastes mit einem kleinen Irrgarten.
    Auf Anhieb erkannte er die Kulisse, die so häufig im Otterman’s in Freightly zum Einsatz gekommen war. Er selbst musste hundertmal oder mehr vor dieser Kulisse gespielt haben. Und dieser Vorhang war der Zwischenvorhang des Theaters; er hätte ihn an seinen Quasten überall erkannt.
    George fürchtete ohnmächtig zu werden angesichts der Erkenntnis, dass dieser Schatten hinter die Bühne des Theaters seines ehemaligen Arbeitgebers führte, und mit einem Freudenschrei ließ er sich auf alle viere nieder und kroch durch die Spalte auf den Schatten an ihrem Ende zu.
    Bald wich der kalte Fels unter seinen Händen einem Holzfußboden, und der vertraute Geruch nach staubigem Stoff, Tabakrauch, Theaterschminke und Seilen drang in seine Nase. Er fragte sich, warum der Zwischenvorhang hinter die Bühne gebracht worden war. Während seiner ganzen Zeit im Otterman’s hatte Van Hoever den Vorhang nie abgenommen oder ihm wenigstens die erforderliche Pflege zukommen lassen. Aber diese Gedanken schob er rasch beiseite. Er würde hinausklettern und Tofty und Victor und Irina wiedersehen, und sie würden ihm aus seinen Schwierigkeiten heraushelfen. Sie würden ihm zu essen geben, neue Kleider, und vielleicht würden sie ihm sogar eine Eisenbahnkarte besorgen, und er wäre im Handumdrehen wieder bei seinem Vater …
    Als George sich jedoch dem Vorhang näherte, fiel ihm ein neuer Geruch auf, dem ein süßliches, beinahe karamellartiges Aroma anhaftete, ein Geruch, wie von etwas, das langsam geröstet worden war, und je näher er dem Schatten kam, desto schwerer, aschiger, ja, sogar bitterer wurde der Geruch. Erst, als er sich ganz aus dem Schatten gelöst hatte und im Otterman’s hinter der Bühne stand, erkannte er, dass es der Geruch von verkohltem Holz und verbranntem Papier war. Und angesichts der Intensität des Geruchs musste es davon irgendwo im Theater einen ganzen Haufen geben.
    Nun erst wurde ihm klar, dass der Vorhang nicht hinter der Bühne gelagert worden war. Was er sah, war nur ein verwüsteter Fetzen des Originals, der abgerissen worden und anscheinend zufällig hier hängen geblieben war. Auf dem Boden verteilt sah er allerlei Schutt, der aussah wie die Überreste von Kulissen und Vorhangschienen und Flaschenzügen, an denen immer noch ein knotiges Gewirr aus Seilen hing. Während George noch wie gebannt hinsah, fegte ein Luftzug durch den Gang hinter der Bühne und trug auf seinen Schwingen Dutzende von winzigen, schwarzen Flocken mit sich, die verträumt durch die Düsternis segelten. Sie legten sich auf Georges Schultern und seine ausgestreckten, geschwärzten Hände, und wenn er sie berührte, lösten sie sich einfach auf.
    Asche, dachte er. Was war hier geschehen?
    George ging den Gang hinunter. Keine der Lampen brannte. Die einzige Lichtquelle war ein schwaches Leuchten am Ende des Korridors, dort, wo der Gang zur Bühne führte. Als er weiterging, regte sich der Luftzug erneut, und irgendwo in der Finsternis hinter der Bühne peitschte und flatterte etwas wüst im Verborgenen.
    Dies war nicht der lebendige Ort aus seiner Erinnerung. Er konnte sich kaum vorstellen, dass hier je Menschen gearbeitet hatten. Allmählich fragte er sich, warum der Schatten sich zu diesem Ort geöffnet hatte. Wenn Silenus recht hatte, dann öffneten sich derlei Dinge nur in den dünnen Teilen der Welt, in Gebieten, die so ausgezehrt waren, dass sie kaum noch existierten. Was aber konnte das Otterman’s zu solch einem Ort gemacht haben?
    Dann hatte George die Bühne erreicht und blickte hinaus.
    Die Vorhänge vor ihm hingen in Fetzen herab, und von der ganzen linken Seite war nur mehr ein verkohlter Rahmen geblieben. Die Gerüststreben und Balken unter den Bühnenbrettern lagen offen vor ihm, welk und dunkel vom Feuer, und die Vorhänge endeten auf halbem Wege in einem fragilen Gewebe aus verbranntem Stoff. George starrte sie an und ging hinaus in die Bühnenmitte,

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