Silo: Roman (German Edition)
Blick
ging nach rechts und links, er fühlte sich exponiert und beobachtet.
»Ich bin doch wohl
ein bisschen zu alt, um noch mal Schatten zu werden«, sagte er. Er war sich
ziemlich sicher, dass er das Angebot noch nicht angenommen hatte, jedenfalls
nicht direkt, aber Bernard redete, als wäre es beschlossene Sache.
»Unsinn! Außerdem
vereinbaren wir kein traditionelles Schattenverhältnis.« Bernard fuchtelte in
der Luft herum. »Du machst deine Arbeit weiter wie immer. Ich brauche nur
jemanden, der in meine Fußstapfen tritt, der weiß, was zu tun ist, falls mir
irgendwas passiert. Mein Testament …«
An der schweren Tür
zum Serverraum blieb er stehen und sah Lukas an. »Wenn es hart auf hart kommt,
in einem Notfall, steht in meinem Testament alles, was der nächste IT-Chef wissen muss, aber …«, er blickte über Lukas’
Schulter hinweg den Gang hinunter, »… bisher ist Sims mein
Testamentsvollstrecker, das müssen wir ändern. Sonst ist schon jetzt absehbar,
dass es Probleme geben wird.«
Bernard rieb sich
das Kinn und verfiel in Schweigen. Lukas wartete einen Augenblick, dann trat er
neben ihn und gab seinen Sicherheitscode in die Tafel neben der Tür ein, holte
seine Ausweiskarte aus der Tasche – vergewisserte sich, dass es seine war und
nicht Juliettes – und zog sie durch das Lesegerät. Die Tür öffnete sich und
riss Bernard aus seinen Gedanken.
»Ja, doch, ich
glaube, es ist besser so. Nicht, dass ich vorhätte, mich bald zu verabschieden …« Er rückte seine Brille zurecht und trat durch die schwere Stahltür. Lukas
folgte ihm, schob die Tür wieder zu und wartete, dass das Schloss einrastete.
»Und wenn Ihnen
etwas zustoßen würde, dann müsste ich die Reinigungen überwachen?« Lukas konnte
sich das beim besten Willen nicht vorstellen. Sammi wäre für den Posten
vermutlich besser geeignet, er würde den Job außerdem auch wollen . Und
überhaupt – würde Lukas dann seine Sternkarten aufgeben müssen?
»Das ist nur ein
kleiner Teil des Jobs, aber: ja.« Bernard führte Lukas zwischen den Servern
hindurch, an der Nummer dreizehn vorbei, deren Monitor schwarz war und deren
Lüftung nicht in Betrieb zu sein schien.
»Das hier ist der
Schlüssel zum Herzen des Silos«, sagte Bernard und zog einen klimpernden
Schlüsselbund aus seinem Overall. Er hing an einem Lederband um seinen Hals,
Lukas hatte ihn nie bemerkt.
»In dieser Kammer
gibt es einige Dinge, die du im Laufe der Zeit kennenlernen wirst. Fürs Erste
musst du nur wissen, wie du nach unten kommst.« Er steckte den Schlüssel in
verschiedene Schlösser am Rücken des Servers, Schlösser, die aussahen wie
versenkte Schrauben. Vor welchem Server genau standen sie hier? Vor der
Achtundzwanzig? Lukas sah sich im Raum um und versuchte, die Position
durchzuzählen, dann merkte er, dass dieser spezielle Server nie auf seinem
Wartungsplan gestanden hatte.
Es machte leise pling ,
als die Rückwand aufsprang, und Lukas sah, warum er nie an diesem Rechner
gearbeitet hatte. Er war praktisch leer, nur eine Hülle, als sei er im Laufe
der Jahre ausgeweidet worden.
»Das Wichtigste ist,
dass du die Rückwand verschließt, wenn du wieder hochkommst.«
Lukas sah zu, als
Bernard nach einem Griff am Boden des leeren Gehäuses fasste. Es war ein leises
schleifendes Geräusch zu hören. »Wenn das Gitter wieder an Ort und Stelle ist,
drückst du einfach hier, um es zu sichern.«
Lukas wollte schon
fragen, welches Gitter, als Bernard einen Schritt zur Seite trat und die Finger
in eine der Metallleisten auf dem Boden steckte. Ächzend hob er die schwere
Bodenplatte an und schob sie beiseite. Lukas sprang auf die andere Seite und
beugte sich hinunter, um ihm zu helfen.
»Wäre das über die
Treppe nicht …«, hob er an.
»Die führt nicht in
diesen Teil des Fünfunddreißigsten.« Bernard deutete auf eine Leiter, die in
dem Loch nach unten führte. »Geh du vor.«
Lukas schwirrte der
Kopf. Der Tag verlief definitiv anders, als er es erwartet hatte. Als er sich
vorbeugte, um nach der Leiter zu greifen, spürte er, wie sich Juliettes Uhr,
der Ring und die Ausweiskarte in seiner Tasche bewegten, und er presste
hektisch die Hand gegen die Brust, um alles an Ort und Stelle zu halten. Was
hatte er sich bloß dabei gedacht, als er die Sachen an sich genommen hatte? Was
dachte er sich jetzt? Er stieg die lange Leiter hinunter und hatte das Gefühl,
dass jemand in seinem Gehirn ein Programm in Gang gesetzt hatte, von dem er
jetzt gesteuert wurde.
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