Silo: Roman (German Edition)
repariert hatte. Eine Reparatur, die so kompliziert und
scheinbar unmöglich gewesen war – jahrelang hatte sie Teile gereinigt und
zusammengebaut, die fast zu klein waren, um sie überhaupt zu sehen –, dass jede
andere Aufgabe dagegen winzig wirkte.
»Sind wir noch in
der Zeit?«, fragte Marck grinsend.
»Alles gut.« Sie
nickte zum Kontrollraum hin. Ein Flüstern hob an, als die Menge begriff, dass
der Neustart unmittelbar bevorstand. Viele zogen sich den Lärmschutz vom Hals und
setzten ihn sich auf die Ohren. Juliette und Marck gingen zu Shirly in den
Kontrollraum.
»Wie läuft’s?«,
fragte Juliette die kleine Vorarbeiterin der zweiten Schicht.
»Super«, sagte
Shirly und stellte nach und nach sämtliche Werte auf null, die in den letzten
Jahren in die eine oder andere Richtung korrigiert worden waren. »Es kann
losgehen«, sagte sie.
Sie trat von der
Schalttafel zurück und stellte sich zu ihrem Mann. Die Geste war eindeutig:
Dies war Juliettes Projekt, vielleicht das letzte Mal, dass sie ganz unten in
der Mechanik etwas reparierte. Sie würde die Ehre und die gesamte Verantwortung
haben, den Generator wieder hochzufahren.
Juliette stand über
der Schalttafel und sah auf die Knöpfe und Regler, die sie selbst in
vollkommener Dunkelheit hätte bedienen können. Kaum zu glauben, dass dieser
Lebensabschnitt vorüber war, dass ein neuer beginnen würde. Der Gedanke daran,
nach ganz oben zu reisen, machte ihr mehr Angst als die Wiederinbetriebnahme
des Generators. Die Vorstellung, ihre Freunde und ihre Familie zu verlassen,
sich mit Politik zu beschäftigen, kam ihr deutlich weniger verlockend vor als
der Schweiß und das Öl auf ihren Lippen. Immerhin würde sie Verbündete haben.
Wenn Menschen wie Jahns und Marnes dort oben zurechtkamen, dann würde sie es
auch schaffen. Mit zitternder Hand, mehr vor Erschöpfung als vor Aufregung,
schaltete Juliette den Anlasser ein. Es schien ewig zu dauern, und Juliette
hatte keine Ahnung, wie sich der Generator im Normalfall überhaupt anhören
musste. Marck hielt die Tür zur Halle auf, damit sie hörten, falls jemand rief,
sie sollten abbrechen. Er sah zu Juliette hinüber, die immer noch die Zündung
festhielt, Sorgenfalten auf der Stirn, weil der Anlasser nebenan jaulte und
heulte.
Draußen winkte
jemand mit beiden Armen und versuchte, ihr durch die Scheibe etwas mitzuteilen.
»Mach aus, mach
aus«, sagte Marck. Shirly eilte zur Schalttafel, um ihr zu helfen.
Juliette ließ den
Anlasser los und griff nach dem Notausschalter, betätigte ihn dann aber doch
nicht. Aus der Halle war ein Geräusch zu hören. Ein kräftiges Summen. Sie
meinte, es durch den Boden zu spüren, aber es war nicht wie die Vibrationen
früher.
»Er läuft schon!«,
schrie jemand.
»Er ist schon an«,
lachte Marck.
Draußen jubelten die
Mechaniker. Jemand setzte die Ohrenschützer ab und warf sie in die Luft.
Shirly und Marck
umarmten sich. Juliette überprüfte Temperatur und Druck an den auf null
gestellten Reglern und sah wenig Grund für nachträgliche Anpassungen. Genaueres
würde man dann sehen, wenn die Maschine warm gelaufen war. Die Arbeiter
sprangen über das Geländer und versammelten sich um das erneuerte Monstrum.
Einige, die sonst nur selten in die Halle kamen, wollten den Generator nun
geradezu ehrfürchtig berühren.
Juliette verließ den
Kontrollraum, um bei den anderen zu sein und der perfekt arbeitenden Maschine
zuzuhören, dem schnurrenden Getriebe. Sie stand hinter dem Geländer, die Hände
auf den Stahlrohren, die früher gerattert und gezittert hatten. Sie betrachtete
diese ungewöhnliche Feier – in einer Arbeitsumgebung, die bisher von allen
gemieden worden war. Das Summen war überwältigend. Strom ohne Angst, der Lohn
für viel Arbeit und Planung.
Der Erfolg verlieh
ihr neues Selbstvertrauen für das, was vor ihr lag, was über ihr lag. Sie war
so gut gelaunt und so fixiert auf die Maschine, dass sie den jungen Träger
nicht bemerkte, der hereingerannt kam, mit aschfahlem Gesicht, vollkommen außer
Atem. Sie nahm kaum wahr, wie die Nachricht von einem zum anderen durch den
Raum wanderte, sich unter den Mechanikern verbreitete, denen man die Angst und
die Trauer sofort ansah. Erst als die Feier komplett erstorben war und eine
neue Art von Stille herrschte, eine, die von ungläubigen Schluchzern erfüllt
war, vom Weinen erwachsener Männer, wurde Juliette klar, dass etwas nicht
stimmte.
Etwas war geschehen.
Ein großes und mächtiges Ding war nicht mehr an
Weitere Kostenlose Bücher