Silo: Roman (German Edition)
seinem Platz.
Und das hatte nichts
mit ihrem Generator zu tun.
18. KAPITEL
Die
Taschen waren nummeriert. Wenn Juliette an sich hinuntersah, konnte sie die
Zahlen lesen – sie waren verkehrt herum aufgedruckt. Der Grund für das
besondere Aussehen ihres Overalls war einfach: Niemand außer ihr würde sich mit
der Nummerierung zurechtfinden müssen. Sie blinzelte benommen durch ihr
Helmvisier, während die Tür hinter ihr versiegelt wurde. Vor ihr lag eine
zweite Tür, die verbotene Tür, und Juliette stand still da und wartete, dass
ihr geöffnet wurde.
Sie fühlte sich
verloren in dem leeren Raum zwischen den beiden Türen, gefangen in der
Luftschleuse, zwischen leuchtend bunten Rohren, die aus Wänden und Decke
ragten. Das Zischen des Argons, das in den Raum gepumpt wurde, war in ihrem
Helm wie von fern zu hören. Das Geräusch sagte ihr, dass es nun bald vorbei
sein würde. Der Druck in der Kabine nahm zu, zerknitterte die Plastikvorhänge,
die an den Wänden und um die Bank herum angebracht waren und dem Raum einen
künstlichen Glanz verliehen. Juliette konnte das Gas an ihrem Anzug spüren, es
war, als würde eine unsichtbare Hand ihren Körper berühren.
Sie wusste, was als
Nächstes kam. Und ein Teil von ihr fragte sich, wie sie überhaupt
hierhergekommen war, ein Mädchen aus dem Maschinenraum – das sich nie um die
Außenwelt geschert und sich bestenfalls ein paar kleinere Mogeleien bei der
Materialbestellung erlaubt hatte.
Wie zufrieden sie
gewesen wäre, wenn sie den Rest ihres Lebens in den tiefsten Eingeweiden der
Erde hätte herumkriechen und an ihren Maschinen herumschrauben können, eine
Schicht Schmierfett auf dem Gesicht und kein Gedanke an die Welt der Toten dort
draußen vor dem Silo …
19. KAPITEL
Einige
Tage zuvor
Juliette
saß auf dem Boden der Arrestzelle. Sie lehnte mit dem Rücken an den hohen
Gitterstäben, vor ihr auf dem Wandmonitor war eine trostlose, erbärmliche Welt
zu sehen. In den letzten drei Tagen hatte sie versucht, für sich selbst
herauszufinden, worauf es bei ihrer Arbeit als Silosheriff ankam, und dabei
hatte sie immer wieder einen Blick auf diese Außenwelt geworfen und sich
gefragt, warum alle so ein Aufhebens darum machten.
Mehr als düstere
Erdhaufen sah sie nicht, diese grauen Hügel, die sich zu den noch graueren
Wolken hinaufreckten, Tupfen von Sonnenlicht, das mit wenig Erfolg das Land zu
erhellen versuchte. Darüber hinweg wehten die giftigen Winde, wilde Böen, die
kleine Staubwolken zu Fetzen und Wirbeln aufpeitschten und über die verlassene
Landschaft jagten.
Für Juliette hatte
diese Aussicht nichts Inspirierendes, nichts, was ihre Neugier entfachte. Dort
draußen gab es bloß unbewohnbares Brachland, das für niemanden von Nutzen war.
Abgesehen von dem rostigen Stahl der verfallenden Hochhäuser, die man hinter
den Hügeln sah, würden sich keine Rohstoffe finden lassen. Und es wäre
zweifellos der größere Aufwand, diesen Stahl abzubauen, zu transportieren, zu
schmelzen und zu läutern, als einfach neues Erz aus den Minen unter dem Silo zu
fördern.
Wie Juliette nun
sah, war es vollkommen deprimierend und unnütz, den verbotenen Träumen von der
Außenwelt nachzuhängen. Die Menschen aus den oberen Etagen, die diesen Blick
liebten, schauten in die falsche Richtung: Die Zukunft lag unten. Von dort
nämlich kamen das Öl, aus dem sie die Energie gewannen, die Mineralien, aus
denen sich so viel Nützliches herstellen ließ, der Stickstoff, der den Boden
der landwirtschaftlichen Anlagen düngte. Wer als Schatten in den Fußstapfen der
Chemiker und Metallarbeiter gelernt hatte, war sich dessen auch durchaus
bewusst. Nur diejenigen, die in den Kinderbüchern lasen und ständig das Puzzle
einer längst vergessenen Vergangenheit zu rekonstruieren versuchten, lebten
weiterhin in ihrer Illusion.
Die allgemeine
Besessenheit von der Außenwelt konnte Juliette lediglich in Anbetracht des
weiten Raums nachvollziehen, ein Aspekt der Landschaft dort draußen, der sie,
offen gestanden, erschreckte. Vielleicht stimmte etwas nicht mit ihr, dass sie
die Wände des Silos so sehr mochte, die dunkle Enge ganz unten. Waren die
anderen alle verrückt, weil sie ständig an die Flucht aus dem Silo dachten?
Oder hatte sie selbst ein Problem?
Juliette wandte sich
von den vertrockneten Hügeln und dem Staubnebel ab und blickte auf die Akten,
die um sie herum verstreut waren – die unerledigte Arbeit ihres Vorgängers. Auf
ihrem Knie lag ein glänzender, noch
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