Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
versammelt. Und Elvis-Fans natürlich. Aber auch die Pressemeute hatte sich wie ein Wolfsrudel eingefunden, als gäbe es hier einen besonders bekömmlichen Fetzen Fleisch umsonst. Mehrere Fernsehsender übertrugen den Wettbewerb. Manche sogar live. Die Journalistendichte im Zelt war beunruhigend. Für Plotek zumindest. Journalisten konnte er noch weniger leiden als Schauspieler. Obwohl er selbst einmal Schauspieler gewesen war und Agnes, bis vor Kurzem seine Freundin, noch immer Journalistin ist. Oder vielleicht gerade deswegen. So viele Wirklichkeitsverdreher auf einem Haufen hatten für Plotek körperliche Schmerzen zur Folge. Der Magen grummelte, der Kopf tat weh. Das erste Mal, seit er in Sils Maria war. An den Nahrungsmittelentzug konnte er sich gewöhnen, an die Journaille nicht.
Auch Vera Frischknecht war unter den Zuschauern. Das Laisser-faire schien bei ihr wieder zurück. Sie sah blendend aus. Kein Wunder, schwamm sie doch durch die Aufklärung der Morde auf einer Sympathiewelle. Auch wenn sich der Täter einer Bestrafung entzogen hatte. Ein kleiner Makel in ihrer Ermittlungsarbeit war die Tatsache, dass der Dorfpolizist Linard Jäggi noch immer verschwunden war und dass trotz intensiver Suche bis auf seine Pfeife und die Blutspritzer, die laut kriminaltechnischem Gutachten eindeutig von ihm stammten, keine Spur gefunden wurde. Und auch, dass es noch keinen Hinweis darauf gab, wer den Wagen des Amerikaners manipuliert hatte, sollte ihr eigentlich ein wenig Kopfzerbrechen bereiten. Hätte man denken können. Aber falsch gedacht und weit gefehlt. Vera Frischknecht sah aus, als würde sie sich von nun an wieder dem Dolce Vita hingeben. Indem sie sich jetzt dem amerikanischen Liedgut widmete. Sie lächelte und stellte sich neben Plotek.
Womöglich ist das aber alles nur Tarnung, dachte dieser, als die Hauptkommissarin eine Spur zu selbstverständlich »Und, alle da?« fragte.
Was soll man darauf antworten?, dachte Plotek und: Wer ist alle? Machte er also nur: »Hmm.«
»Sehr schön.« Das schien Vera Frischknecht schon zu genügen. Sie lächelte wieder selbstgefällig. Was Plotek ein wenig ärgerte. Streute er eben eine Prise Salz in die Wunde.
»Außer Linard Jäggi.«
Und tatsächlich: Vera Frischknecht verzog für einen Moment das Gesicht, als hätte sie Schmerzen. »Den finden wir auch noch.« Sie klang entschlossen und versuchte wieder zu lächeln. Was ihr jetzt aber nur unzureichend gelang.
»Na, hoffentlich.« Plotek hörte sich geringschätzig an.
»Sie zweifeln?« Die Hauptkommissarin sagte es, als vermutete sie, Plotek wüsste, wo der alte Trottel steckte. Während Plotek dachte: Vielleicht ist die junge Hauptkommissarin aus Chur viel raffinierter, als ich glaube.
Als er nämlich ein paar Polizeibeamte in Uniform und welche in Zivil inmitten der Besucher entdeckte, ahnte er, dass der Besuch der Exekutiven einen anderen Grund als den des Wettsingens hatte. Was für einer das war, wollte ihm aber im Moment nicht einfallen.
»Und? Haben Sie schon eine Belobigung bekommen?« Es war Vinzi, der sich von hinten an Plotek und die Hauptkommissarin herangepirscht hatte. »Eine Tapferkeitsmedaille, ein Bundesverdienstkreuz …«
»Wofür?«, ging Vera Frischknecht dazwischen. Es hörte sich an wie fishing for compliments .
»Für Ihre raschen Ermittlungserfolge.« Vinzi gab sich großzügig.
Die Hauptkommissarin lächelte geschmeichelt und ließ ihre flinken Augen im Zelt herumwandern, als suchte sie etwas. Oder jemanden. »Nein, noch nicht. Aber wenn, dann beiße ich Ihnen eine Ecke davon ab, einverstanden?« Sie zeigte ihre schönen, weißen Zähne.
Jetzt lächelte auch Vinzi und starrte dabei auf ihre Brüste, als wären es die Tapferkeitsmedaillen, von denen er eine abbekommen sollte.
»Bis später!« Vera Frischknecht tauchte im Menschengetümmel unter.
Aufgrund des enormen Ansturms der Besucher wurden Plotek und Vinzi tatsächlich von Agatha mit allem ihr zur Verfügung stehenden Charme zur Mitarbeit überredet. Vielmehr gezwungen. »Ihr könnt mich doch jetzt nicht allein lassen?!«
Und gleich darauf auch eingespannt. Vinzi riss Eintrittskarten am Eingang ab, und Plotek sorgte dafür, dass niemand, vor allem keine Journalisten, unbefugt die Bühne betrat. Auf der war Beat Zuberbühler seit geraumer Zeit zugange und lief sich in blütenweißem Anzug und ebenso weißen Lederschuhen warm. Um seinen Mund hatte sich ein permanentes Lächeln gelegt, das nichts anderes ausdrückte als immenses
Weitere Kostenlose Bücher