Sils Maria: Kriminalroman (German Edition)
ausgepfiffen hatte. Die Stimmung im Zelt wurde im Verlauf der Veranstaltung immer schlechter.
Klemens kam zu Recht in die Endrunde. Er sang so gut wie noch nie. Sein Gesang erinnerte tatsächlich zeitweilig an den King aus Memphis. Wobei er rein äußerlich, bis auf den überzeugenden Hüftschwung, am wenigsten von den Konkurrenten an Elvis erinnerte. Bei Klemens war zu viel Klemens drin und zu wenig Elvis. Die anderen sieben Finalisten sangen auch nicht schlecht, hatten sich mit ihrem Äußeren aber eindeutig mehr Mühe gegeben. Zumindest die Kostüme sahen aus, als hätte Elvis Presley persönlich sie vollgeschwitzt.
»Bravo!«, schrie Vinzi von hinten, als Klemens die Bühne betrat und noch ehe dieser den ersten Ton von sich gab. Auch Marlies, die sich ebenfalls unter die Zuschauer gemischt hatte und jetzt – noch abgemagerter und in olivgrünem Kleid – unverschämt gut aussah, brüllte lautstark. Klemens lächelte verlegen. Man sah ihm an, dass er aufgeregt war. Das Tourette schien er aber im Griff zu haben. In der Vorrunde kam kein einziges Schimpfwort über seine Lippen. Jetzt haute der Hammondorgelspieler in die Tasten, und Klemens’ Hüfte setzte sich in Bewegung. Das war eindeutig der überzeugendste Hüftschwung des Wettbewerbs. Dann legte Klemens mit »Love Me Tender« los.
»Love me tender, love me sweet, never let me go / You have made my life complete and I love you so / Love me tender, love me true, all my dreams fulfill / For, my darlin’, I love you and I always will …«
Klemens’ Augen hingen an Marlies wie eine gierige Biene am Honigglas. Es sah aus, als singe er nur für sie. Eindeutig. Das war eine gesungene Liebeserklärung. Das schienen nun auch die Zuschauer zu merken. Und Marlies. Sie klatschte zuerst noch im Takt, während Vinzi immer wieder »Bravo« dazwischenbrüllte, sodass sich einige Jurymitglieder sogar nach ihm umdrehten. Dann war Marlies so gerührt, dass sie plötzlich anfing zu weinen. Was offenbar auch den Gitarristen der Combo ganz durcheinanderbrachte. Er hatte Schwierigkeiten, die richtigen Töne zu treffen. Die Musik klang zunehmend schräger, sodass Klemens die Darbietung abrupt unterbrach. Die Liebeserklärung war futsch. Der Song am Arsch. Er eilte wutschnaubend auf den Gitarristen zu und machte ihn dermaßen zur Schnecke, dass dieser die Arme zur Kapitulation hob und rot anlief. Dann begannen sie von vorne, und der Gitarrist verspielte sich kein einziges Mal mehr. »Love me tender, love me dear, tell me you are mine / I’ll be yours through all the years till the end of time / Love me tender, love me true, all my dreams fulfill / For, my darlin’, I love you and I always will …«
Vinzi jubelte. Marlies klatschte wieder und weinte noch gerührter. Am Ende warf sie Kussmünder auf die Bühne und schrie, so laut sie konnte, »I love you!« zu Klemens hoch, sodass der nun ganz rot im Gesicht wurde. Das Publikum tobte. Klemens riss die Arme hoch, als wäre er beim Zieleinlauf in einem Marathonrennen.
Zum Sieg reichte es für Klemens trotzdem nicht. Sieger wurde ein Elvis-Imitator aus der Schweiz. Und das war nicht unumstritten. Soll heißen: Bei der Siegerehrung kam es zum Eklat. Der Grund: Der Sieger kam nicht nur aus der Schweiz. Er kam auch noch aus dem Engadin. Gleich um die Ecke von Sils Maria. Da läuteten natürlich für alle anderen Imitatoren sowie für die auswärtigen Zuschauer die Alarmglocken. Und tatsächlich vermuteten einige der anderen Elvisse Voreingenommenheit bei der Jury. Kamen doch auch alle Jurymitglieder aus dem Engadin. Ein abgekartetes Spiel. Zumal der Schweizer Elvis alles andere als überzeugend bei seiner Darbietung gewesen war. Eher gutes Mittelmaß. Der Zweitplatzierte, ein Elvis-Imitator aus Luxemburg, wollte sich mit der Niederlage nicht abfinden. Und provozierte, was das Zeug hielt.
»Schiebung«, schrie er, nachdem ihm von Beat Zuberbühler die Trophäe für den zweiten Platz überreicht worden war. Er warf den Pokal mit Wucht auf den Boden, sodass dieser zersprang. Dann trampelte er auch noch darauf herum, als wäre es keine Trophäe, sondern ein Stück Scheiße.
Bei der Überreichung der Trophäe an den Sieger – es war ein Pokal, der an den der Fußball Champions League erinnerte – pfiffen die Zuschauer, dass die Ohren schwirrten, und warfen Gegenstände auf die Bühne. Zuerst kleine, dann immer größere. Zuletzt sogar Stühle. Die Anschuldigungen wollten der Schweizer Elvis-Imitator und seine Fans natürlich nicht
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