Silver Linings (German Edition)
verängstigt der Kleine ist, schmunzeln einige von uns, und die Ansammlung löst sich respektvoll auf.
Jake und Scott lachen, als wir zurück zu unserem Zelt gehen, aber ich bin nicht so guter Stimmung. Ich wünschte, wir hätten den Kleinen nicht zum Weinen gebracht. Ich weiß, der Giants-Fan war naiv, sich mit einem Giants-Shirt unter Eagles-Fans zu mischen, und es war wirklich seine eigene Schuld, dass sein Sohn zum Weinen gebracht wurde, aber ich weiß auch, was wir gemacht haben, war nicht nett. Es war genau die Art von Verhalten, die Nikki abstößt und die ich versuche, nicht mehr …
Ich spüre seine Hände in meinen Rücken krachen und stolpere nach vorne und falle beinahe hin. Als ich mich umdrehe, sehe ich den großen Giants-Fan. Er trägt seinen Schutzhelm nicht mehr. Sein Sohn ist nicht bei ihm.
«Macht dir das Spaß, kleine Kinder zum Weinen zu bringen?», sagt er zu mir.
Ich bin zu verdattert, um irgendwas zu sagen. Mindestens fünfzig Mann haben mitgemacht, aber mich pickt er raus. Warum? Ich habe nicht mal mitskandiert. Ich hab nicht mal mit dem Finger gezeigt. Ich will ihm das sagen, aber mein Mund gehorcht mir nicht, also bleibe ich einfach kopfschüttelnd stehen.
«Wenn du keinen Ärger haben willst, trag kein Giants-Trikot im Eagles-Stadion», sagt Scott.
«Als guter Vater solltest du deinen Sohn nicht in der Aufmachung hierherbringen», schiebt Jake nach.
Der Mob bildet sich rasch neu. Ein Kreis aus grünen Trikots umgibt uns jetzt, und ich denke, dieser Giants-Fan muss verrückt sein. Einer von seinen Freunden ist gekommen und versucht, ihn zu beruhigen. Der Freund ist ein schmächtiger Mann mit langen Haaren und Schnurrbart – und er trägt ein Eagles-Hemd. «Lass gut sein, Steve. Komm, wir gehen. Die haben das nicht so gemeint. Es war bloß ein Joke.»
«Was ist dein Scheißproblem?», sagt Steve, und dann gibt er mir wieder einen kräftigen Schubs, mit beiden Händen gegen die Brust.
Sofort legen die Eagles-Fans wieder mit ihrem Sprechchor los: «Arsch-loch! Arsch-loch! Arsch-loch!»
Steve starrt mir in die Augen und knirscht mit den Zähnen, wobei die Sehnen an seinem Hals hervortreten wie Stricke. Er macht offensichtlich auch Krafttraining. Seine Arme sehen sogar noch dicker aus als meine, und er ist vier oder fünf Zentimeter größer als ich.
Ich blicke hilfesuchend zu Jake rüber und merke, dass er auch ein bisschen besorgt aussieht.
Jake stellt sich vor mich, hebt die Hände, um zu zeigen, dass er keine bösen Absichten hegt, doch ehe er etwas sagen kann, krallt sich der Giants-Fan in das Jerome-Brown-Gedächtnistrikot meines Bruders und wirft Jake zu Boden.
Ich sehe, wie er lang hinschlägt – die Hände meines Bruders rutschen über den Asphalt –, und dann tropft Blut von seinen Fingern, und Jakes Augen blicken benommen und ängstlich.
Mein Bruder ist verletzt.
Mein Bruder ist verletzt.
MEIN BRUDER IST VERLETZT.
Ich explodiere.
Das ungute Gefühl in meinem Bauch schießt nach oben durch die Brust bis in die Hände, und ehe ich mich bremsen kann, stürme ich mit Wucht nach vorn. Ich erwische Steve mit einer Linken an der Wange, und dann trifft meine Rechte die Unterseite seines Kinns, hebt ihn vom Boden. Ich sehe ihn durch die Luft segeln, als würde er sich rückwärts in einen Teich fallen lassen. Er knallt mit dem Rücken auf den Asphalt, Füße und Hände zucken einmal, und dann rührt er sich nicht mehr, die Menge schweigt, und ich fühle mich auf einmal ganz schrecklich – schrecklich schuldig.
Irgendwer schreit: «Ruft einen Krankenwagen!»
Ein anderer schreit: «Die können gleich einen blau-rot-weißen Leichensack mitbringen!»
«Es tut mir leid», flüstere ich, weil ich kaum sprechen kann. «Es tut mir so furchtbar leid.»
Und dann laufe ich wieder.
Ich schlängele mich durch die Menschenmenge, renne über Straßen, um Autos herum und durch Gehupe und Geschimpfe von fluchenden Fahrern. Ich kriege ein sprudeliges Gefühl im Bauch, und auf einmal kotze ich mir mitten auf dem Bürgersteig die Seele aus dem Leib – Rührei, Würstchen, Bier –, und ganz viele Leute schreien mich an, nennen mich einen Säufer, sagen, ich bin ein Arschloch. Und dann laufe ich wieder, so schnell ich kann, die Straße runter, weg vom Stadion.
Als ich das Gefühl habe, gleich wieder brechen zu müssen, bleibe ich stehen und merke, dass ich allein bin – kein Eagles-Fan weit und breit. Ein Drahtzaun, dahinter ein verlassen aussehendes Lagerhaus.
Ich übergebe mich
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