Silver Linings (German Edition)
weil Jakes und Scotts Reaktion nun mal hilfreich wäre, um herauszubekommen, was die übrige Welt für Vorstellungen von Zeit hat. Außerdem ist es beängstigend, nicht zu wissen , was nach Meinung der übrigen Welt zwischen damals und jetzt passiert ist. Ich sollte besser nicht zu viel darüber nachdenken.
«Trink ein paar Bierchen», sagt Jake zu mir. «Lächeln. Heute ist Spieltag!»
Also fange ich an zu trinken, obwohl die kleinen orangenen Fläschchen, in denen ich meine Tabletten kriege, einen Aufdruck haben, der mich vor Alkoholkonsum warnt.
Nachdem die dicken Männer im Zelt gefüttert worden sind, essen wir von Papptellern, und dann fangen Scott, Jake und ich an, uns den Football zuzuwerfen.
Der Parkplatz ist voller Menschen. Manche feiern, manche bummeln herum. Einige Männer verkaufen selbstgemachte T-Shirts, Mütter zeigen stolz ihre kleinen Töchter in Cheerleader-Outfits, und die Mädchen führen ein paar Figuren vor, wenn man einen Dollar an ihren örtlichen Cheerleader-Verein spendet, verrückte Penner bieten an, für Bier und etwas zu essen schlüpfrige Witze zu erzählen, Stripperinnen in knappen Höschen und Satinjacken verteilen Freikarten für Striplokale, ganze Rudel von Kindern in Footballmontur sammeln Geld für ihre Kinderfootballteams, Studenten verteilen Gratisproben von neuen Limonaden oder Sportgetränken, Süßigkeiten oder Junkfood, und natürlich sind da noch die übrigen siebzigtausend betrunkenen Eagles-Fans wie wir. Im Grunde ist es ein grüner Football-Karneval.
Als wir beschließen, ein paar Bälle zu werfen, habe ich zwei oder drei Bier getrunken, und ich würde wetten, dass Jake und Scott jeder mindestens zehn intus haben, weshalb unsere Würfe nicht besonders präzise sind. Der Ball knallt gegen parkende Autos, wir schmeißen ein paar Klapptische mit Essen um, treffen ein paar Typen in den Rücken, aber keiner stört sich daran, weil wir Eagles-Fans in Eagles-Trikots sind, die gleich aus vollem Herzen die Eagles anfeuern werden. Ab und an springen andere vor einen von uns und fangen einen Pass ab, aber sie geben uns den Ball immer mit einem Lachen zurück.
Es macht mir Spaß, mit Jake und Scott den Football zu werfen, weil ich mich dabei wieder jung fühle, und als ich jung war, war ich der Mensch, in den Nikki sich verliebt hat.
Aber dann passiert etwas Schlimmes.
Jake sieht ihn zuerst, zeigt auf ihn und sagt: «Hey, seht mal das Arschloch dahinten.» Ich drehe den Kopf und sehe einen großen Mann in einem Giants-Trikot, etwa vierzig Meter von unserem Zelt entfernt. Er trägt einen blau-rot-weißen Schutzhelm, und das Schlimmste ist, dass er einen kleinen Jungen bei sich hat, der ebenfalls ein Giants-Trikot trägt. Der Typ geht zu einer Gruppe von Eagles-Fans, die ihm zuerst ein bisschen die Hölle heißmachen, ihm aber schließlich ein Bier in die Hand drücken.
Plötzlich marschiert mein Bruder auf den Giants-Fan zu, also trotten Scott und ich hinterher. Im Gehen fängt mein Bruder an, rhythmisch «Arsch-loch! Arsch-loch! Arsch-loch!» zu rufen. Bei jeder Silbe deutet er mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Schutzhelm. Scott macht dasselbe, und auf einmal sind etwa zwanzig Männer in Eagles-Trikots um uns herum, und auch sie rufen im Chor «Arsch-loch!» und zeigen mit den Fingern. Ich muss zugeben, es ist irgendwie mitreißend, zu so einem Mob zu gehören – vereint im Hass auf die Fans der gegnerischen Mannschaft.
Als wir bei dem Giants-Fan ankommen, lachen seine Freunde – allesamt Eagles-Fans –, und ihre Mienen scheinen zu sagen: «Wir haben dich gewarnt.» Doch anstatt sich reumütig zu verhalten, hebt der Giants-Fan beide Arme in die Höhe, als hätte er gerade einen Zaubertrick vorgeführt oder so. Er grinst breit und nickt, als würde er es genießen, Arschloch genannt zu werden. Er legt sogar eine Hand hinters Ohr, als wollte er sagen: «Geht’s ein bisschen lauter?» Der Junge neben ihm, der wie er einen blassen Teint und eine flache Nase hat – wahrscheinlich sein Sohn –, blickt verstört. Das Trikot hängt dem Kleinen bis zu den Knien, und als der «Arsch-loch»-Gesang immer lauter wird, klammert er sich ans Bein seines Vaters und versteckt sich hinter dem großen Mann.
Mein Bruder leitet die Menge über in einen «Giants sind Scheiße»-Sprechchor, und es kommen immer mehr Eagles-Fans dazu. Mittlerweile sind wir bestimmt fünfzig Mann. Und auf einmal bricht der kleine Junge in Tränen aus und schluchzt. Als wir Eagles-Fans sehen, wie
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