Silver Linings (German Edition)
wieder.
Auf dem Bürgersteig, außerhalb der Pfütze, die ich mache, funkeln und glitzern Glasscherben in der Sonne.
Ich weine.
Ich fühle mich schrecklich.
Ich begreife, dass es mir wieder einmal nicht gelungen ist, freundlich zu sein, dass ich total die Beherrschung verloren habe, dass ich einen Menschen schwer verletzt habe und dass ich Nikki deshalb jetzt niemals wiederbekommen werde. Die Auszeit wird für immer sein, weil meine Frau eine Pazifistin ist, die niemals und unter gar keinen Umständen wollen würde, dass ich jemanden schlage, und Gott und Jesus waren offensichtlich beide dafür, dass ich die andere Wange hinhalte, deshalb weiß ich, dass ich diesen Giants-Fan wirklich nicht hätte schlagen sollen, und jetzt weine ich wieder, weil ich so ein Scheißversager bin – so eine Scheiß-Unperson.
Ich gehe einen halben Block weiter, ringe wie wild nach Atem, und dann bleibe ich stehen.
«Lieber Gott», bete ich. «Bitte schick mich nicht zurück an den schlimmen Ort. Bitte! »
Ich schaue in den Himmel.
Ich sehe eine Wolke genau unterhalb der Sonne vorbeitreiben.
Die Oberseite ist glänzend weiß.
Ich reiße mich zusammen.
Nicht aufgeben, denke ich. Jetzt noch nicht.
«Pat! Pat! Warte!»
Ich blicke zurück Richtung Stadion, und mein Bruder kommt auf mich zugerannt. Im Verlauf der nächsten Minute wird Jake größer und größer, und dann steht er direkt vor mir, schnaufend, die Hände auf die Knie gestützt.
«Es tut mir leid», sage ich. «Es tut mir so leid.»
«Was denn?» Jake lacht, holt sein Handy aus der Tasche, wählt eine Nummer und hält sich das Telefon ans Ohr.
«Ich hab ihn gefunden», sagt Jake in das Handy. «Ja, sag du’s ihm.»
Jake reicht mir das Handy. Ich halte es ans Ohr.
«Ist da Rocky Balboa?»
Ich erkenne Scotts Stimme.
«Hör mal, das Arschloch, das du ausgeknockt hast – also, der Typ ist wieder wach und stinksauer. Komm lieber nicht zurück zum Zelt.»
«Geht’s ihm gut?», frage ich.
«Du solltest dir lieber um dich selbst Sorgen machen.»
«Wieso?»
«Wir haben uns blöd gestellt, als die Bullen hier waren, haben gesagt, wir würden weder dich noch deinen Bruder kennen – aber seit die Streifenhörnchen wieder weg sind, sucht dieser Schrank von einem Kerl den Parkplatz ab, nach dir. Lass dich auf keinen Fall wieder hier blicken, dieser Giants-Fan ist nämlich wild entschlossen, sich zu rächen.»
Ich gebe Jake das Handy zurück, einigermaßen erleichtert, weil ich Steve nicht ernsthaft verletzt habe, aber ich fühle mich auch wie taub, weil ich wieder die Beherrschung verloren habe. Außerdem habe ich ein bisschen Angst vor dem Giants-Fan.
«Fahren wir jetzt nach Hause?», frage ich Jake, nachdem er noch kurz mit Scott geredet hat.
«Nach Hause? Soll das ein Witz sein?», sagt er, und wir gehen wieder zurück Richtung Stadion.
Nachdem ich eine ganze Weile nichts gesagt habe, fragt mein Bruder mich, ob mit mir alles in Ordnung ist. «Hör mal, das Arschloch hat dich angegriffen und mich zu Boden gerissen. Du hast bloß deine Familie verteidigt. Du kannst stolz auf dich sein. Du warst ein Held .»
Auch wenn ich meinen Bruder verteidigt habe, auch wenn ich den Giants-Fan nicht ernsthaft verletzt habe, fühle ich mich trotzdem kein bisschen stolz. Ich fühle mich schuldig. Ich sollte besser wieder an dem schlimmen Ort eingesperrt werden. Ich habe das Gefühl, dass Dr. Timbers mich richtig eingeschätzt hat, dass ich nicht in die reale Welt gehöre, weil ich unkontrollierbar und gefährlich bin. Aber natürlich sage ich das Jake nicht, hauptsächlich, weil er noch nie eingesperrt war und nicht nachvollziehen kann, wie es sich anfühlt, die Kontrolle zu verlieren, und er will sich jetzt bloß das Football-Spiel anschauen, und das alles bedeutet ihm nichts, weil er nie verheiratet war und nie jemanden wie Nikki verloren hat und gar nicht versucht, sein Leben besser zu machen, weil er niemals den Kampf spürt, der sich jeden verdammten Tag in meiner Brust abspielt – die chemischen Explosionen, die meinen Schädel wie mit Feuerwerkskörpern erhellen, und die grässlichen Bedürfnisse und Impulse und …
Vor dem Linc bilden sich Menschentrauben, und wir warten zusammen mit Hunderten anderer Fans darauf, uns abtasten zu lassen. Ich kann mich nicht erinnern, im Vet abgetastet worden zu sein. Ich würde gerne wissen, seit wann das notwendig wurde, aber ich frage Jake nicht, weil der gerade mit irgendwelchen betrunkenen Eagles-Fans «Fly, Eagles, fly»
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