Silver Linings (German Edition)
leere meinen Kopf.
«Ach ja, das Summen. Probieren Sie es doch mal damit, wenn Sie das Gefühl haben, Sie könnten gleich jemanden schlagen. Woher haben Sie diese Taktik?»
Ich bin ein wenig böse auf Cliff, weil er Kenny G erwähnt hat und ich das für einen schmutzigen Trick halte, vor allem, wo er doch weiß, dass Mr. G mein größter Widersacher ist, aber dann rufe ich mir in Erinnerung, dass Cliff mich nicht ausgeschimpft hat, als ich die Wahrheit erzählt habe, und dafür bin ich dankbar, also sage ich: «Nikki hat oft einen einzelnen Ton gesummt, wenn ich sie geärgert habe. Sie hat gesagt, das hat sie im Yoga-Kurs gelernt. Und ich war immer ganz perplex, wenn sie gesummt hat. Das hat mich richtig aufgeregt, weil es nämlich seltsam ist, neben jemandem zu sitzen, der mit geschlossenen Augen einen Ton summt – und Nikki hat diesen Ton meistens endlos lange gesummt. Wenn sie dann endlich aufgehört hat, war ich dankbar, und ich war sensibler für ihren Unmut und offener für ihre Gefühle, was ich bis vor kurzem gar nicht richtig zu schätzen wusste.»
«Und deshalb summen Sie jedes Mal, wenn die Rede auf Kenny …»
Ich schließe die Augen, summe einen einzelnen Ton und zähle im Geist bis zehn, leere meinen Kopf.
Als ich fertig bin, sagt Cliff: «Dadurch können Sie auf einzigartige Weise Ihren Unmut ausdrücken und gleichzeitig die Leute um Sie herum entwaffnen. Sehr interessante Taktik. Warum wenden Sie die nicht auch in anderen Bereichen Ihres Lebens an? Was, wenn Sie die Augen geschlossen und gesummt hätten, als der Giants-Fan Sie geschubst hat?»
Daran hatte ich nicht gedacht.
«Meinen Sie, er hätte Sie weiter geschubst, wenn Sie die Augen geschlossen und gesummt hätten?»
Wahrscheinlich nicht, denke ich. Der Giants-Fan hätte mich für verrückt gehalten, denn genau das habe ich über Nikki gedacht, als sie die Taktik zum ersten Mal bei mir einsetzte.
Cliff lächelt und nickt, während er mein Gesicht studiert.
Wir reden ein bisschen über Tiffany. Er sagt, Tiffany scheint romantische Gefühle für mich zu haben, und er behauptet, sie ist höchstwahrscheinlich eifersüchtig auf meine Liebe zu Nikki, was ich für absurd halte, vor allem, wo Tiffany so gut wie nie mit mir redet und immer so unnahbar ist, wenn wir zusammen sind. Außerdem ist Tiffany schön, und ich habe mich gar nicht gut gehalten.
«Sie ist einfach eine eigenartige Frau», sage ich als Antwort.
«Sind sie das nicht alle?», entgegnet Cliff, und wir lachen ein bisschen, weil Frauen manchmal wirklich schwer zu verstehen sind.
«Was ist mit meinem Traum? Dass ich Nikki in einem Giants-Trikot gesehen habe? Was, glauben Sie, hat das zu bedeuten?»
«Was, glauben Sie , bedeutet es?», fragt Cliff, und als ich die Achseln zucke, wechselt er das Thema.
Cliff sagt, Sylvia Plaths Werk zu lesen ist sehr deprimierend, und erzählt dann, dass seine eigene Tochter sich gerade erst durch Die Glasglocke gequält hat, weil sie an der Eastern High School einen Kurs in amerikanischer Literatur belegt.
«Haben Sie sich nicht bei der Schulleitung beschwert?», frage ich.
«Weswegen?»
«Weil Ihre Tochter gezwungen wurde, eine so deprimierende Geschichte zu lesen.»
«Nein. Natürlich nicht. Warum sollte ich?»
«Weil der Roman jungen Leuten beibringt, pessimistisch zu sein. Keine Hoffnung am Ende, kein Silberstreifen. Teenager sollten lernen, dass …»
«Das Leben ist schwer, Pat, und Kinder müssen erfahren, wie schwer es sein kann.»
«Warum?»
«Damit sie Mitgefühl für andere entwickeln können. Damit sie erkennen, dass manche Menschen es schwerer haben als sie selbst und dass das Reisen durch die Welt extrem unterschiedliche Erfahrungen mit sich bringen kann, je nachdem, welche Chemikalien einem durchs Gehirn toben.»
Der Gedanke war mir noch nie gekommen, dass die Lektüre von Büchern wie Die Glasglocke anderen begreiflich machen kann, wie es ist, Esther Greenwood zu sein. Und jetzt wird mir klar, dass ich sehr viel Mitgefühl für Esther empfinde, und wenn sie eine reale Person in meinem Leben wäre, würde ich versuchen, ihr zu helfen, weil ich ihre Gedanken gut genug kenne, um zu wissen, dass sie nicht einfach gestört ist, sondern dass sie leidet, weil die Welt so grausam zu ihr ist und weil die wilden Chemikalien in ihrem Kopf sie depressiv machen.
«Dann sind Sie nicht böse auf mich?», frage ich, als ich sehe, wie Cliff auf seine Uhr schielt, was bedeutet, dass unsere Sitzung beinahe zu Ende ist.
«Nein.
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