Silver Linings (German Edition)
reden nicht darüber, was Tiffany über meine Frau gesagt hat.
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Keine akzeptable Lösung
In dem Wolkenzimmer entscheide ich mich für den schwarzen Ruhesessel, weil ich mich ein bisschen deprimiert fühle. Einige Minuten lang sage ich kein Wort. Ich habe Angst, dass Cliff mich zurück an den schlimmen Ort schicken wird, wenn ich ihm die Wahrheit erzähle, aber ich fühle mich unendlich schuldig, wie ich so dasitze – und dann rede ich auf einmal, lasse alles in einem wilden Gestammel von Sätzen heraus: der große Giants-Fan, der kleine Giants-Fan, meine Schlägerei, die Niederlage der Eagles gegen die Giants, dass mein Vater den Fernseher kaputtgeschlagen hat, dass er mir den Sportteil hinlegt, aber nicht mit mir redet, dass Nikki in meinem Traum ein Giants-Trikot getragen hat, dass Tiffany «Scheiß auf Nikki» gesagt hat, aber noch immer jeden Tag mit mir laufen will. Und dann, dass Nikki wehrlosen Teenagern Sylvia Plath zu lesen gibt, dass ich Die Glasglocke zerrissen habe und Sylvia Plath ihren Kopf in den Backofen gesteckt hat. «In den Backofen!», sage ich. «Warum steckt denn einer seinen Kopf in den Backofen?»
Die Erleichterung ist gewaltig, und ich merke erst jetzt, dass ich irgendwann mitten in meinem Wortschwall angefangen habe zu weinen. Als ich aufhöre zu reden, hebe ich die Hände vors Gesicht, weil Cliff zwar mein Therapeut ist, ja, aber eben auch ein Mann und ein Eagles-Fan und vielleicht sogar ein Freund.
Ich schluchze hinter vorgehaltenen Händen.
Ein paar Minuten lang bleibt es ganz ruhig in dem Wolkenzimmer, dann beginnt Cliff endlich zu reden und sagt: «Ich finde Giants-Fans ätzend. So was von arrogant, wollen ständig über Lawrence Taylor reden, dabei war der bloß ein mieser Kokser. Zwei Super Bowls, okay, aber das ist lange her – seit dem letzten sind über fünfzehn Jahre vergangen. Und wir waren vor zwei Jahren dabei, hab ich recht? Auch wenn wir verloren haben.»
Ich bin überrascht.
Ich war sicher, Cliff würde mich ausschimpfen, weil ich den Giants-Fan niedergeschlagen habe, und mir wieder damit drohen, mich zurück an den schlimmen Ort zu schicken. Und die Tatsache, dass er Lawrence Taylor erwähnt, finde ich dermaßen aus der Luft gegriffen, dass ich die Hände sinken lasse und Cliff jetzt vor mir stehen sehe, aber bei seiner kleinen Statur ist sein Kopf kaum höher als meiner, obwohl ich sitze. Außerdem hat er, glaube ich, gerade irgendwie angedeutet, dass die Eagles vor zwei Jahren den Super Bowl gespielt haben, was mich sehr aufwühlen würde, weil ich absolut keine Erinnerung daran habe, also versuche ich zu vergessen, was Cliff über unser Team im Finale gesagt hat.
«Finden Sie Giants-Fans nicht auch ätzend?», sagt er zu mir. «Einfach ätzend? Na los, raus mit der Wahrheit.»
«Doch, ja, tu ich», sage ich. «Ich finde sie ätzend. Mein Bruder und mein Vater auch.»
«Wieso trägt dieser Mann ein Giants-Trikot bei einem Eagles-Spiel?»
«Ich weiß nicht.»
«Hat er etwa nicht damit gerechnet, dass man sich über ihn lustig macht?»
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
«Jedes Jahr sehe ich diese blöden Dallas- und Giants- und Redskins-Fans mit ihren Vereinsfarben in unser Haus kommen, und jedes Jahr werden ebendiese Fans von betrunkenen Eagles-Fans in die Mangel genommen. Wann werden die endlich schlauer?»
Ich bin zu verblüfft, um zu sprechen.
Heißt das, Cliff hat eine Dauerkarte?, überlege ich, aber ich frage ihn nicht.
«Sie haben nicht nur Ihren Bruder verteidigt, sondern auch die Ehre Ihres Teams! Richtig?»
Ich merke, dass ich nicke.
Cliff setzt sich. Er zieht an dem Hebel, die Fußstütze hebt sich, und ich stiere auf die abgelaufenen Sohlen seiner Slipper.
«Wenn ich in diesem Sessel sitze, bin ich Ihr Therapeut. Wenn ich nicht in diesem Sessel sitze, bin ich ein Eagles-Fan, genau wie Sie. Klar?»
Ich nicke.
«Gewalt ist keine akzeptable Lösung. Sie mussten den Giants-Fan nicht schlagen.»
Ich nicke wieder. «Ich wollte ihn nicht schlagen.»
«Haben Sie aber.»
Ich blicke nach unten auf meine Hände. Meine Finger sind ganz verdreht.
«Welche Alternativen hatten Sie?», fragt er.
«Alternativen?»
«Was hätten Sie sonst noch machen können, außer den Giants-Fan zu schlagen?»
«Ich hatte keine Zeit zum Nachdenken. Er hat mich geschubst und meinen Bruder zu Boden geschmissen …»
«Was, wenn er Kenny G gewesen wäre?»
Ich schließe die Augen, summe einen einzelnen Ton, zähle im Geist bis zehn,
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