Silver Linings (German Edition)
antwortet nicht. Sie läuft weiter.
In flottem Tempo traben wir nebeneinander zurück nach Collingswood bis zum Haus ihrer Eltern, und dann läuft Tiffany um das Haus herum nach hinten, ohne auf Wiedersehen zu sagen.
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Das unausgesprochene Ende
In dieser Nacht versuche ich, Die Glasglocke von Sylvia Plath zu lesen. Nikki hat oft gesagt, wie wichtig Plaths Roman ist. «Jede junge Frau sollte gezwungen werden, Die Glasglocke zu lesen.» Ich habe mir das Buch von Mom aus der Bibliothek ausleihen lassen, hauptsächlich, weil ich Frauen besser verstehen will, damit ich Nikkis Gefühle und so weiter nachvollziehen kann.
Der Umschlag des Buches ist so richtig was für Mädchen, mit einer getrockneten Rose, die umgedreht über dem Titel hängt.
Auf der ersten Seite erwähnt Plath die Hinrichtung der Rosenbergs, was mir auf Anhieb verrät, dass ich mich auf eine deprimierende Lektüre gefasst machen muss, denn als ehemaliger Geschichtslehrer ist mir klar, wie deprimierend die Angst vor der «roten Gefahr» und die McCarthy-Ära waren. Kurz nach Erwähnung der Rosenbergs erzählt die Protagonistin Esther, wie sie zum ersten Mal eine Leiche gesehen hat und dass ihr der Kopf dieser Leiche noch wochenlang beim Frühstück erschienen ist.
Esther hat eine gute Praktikumsstelle bei einem New Yorker Modemagazin, aber sie ist depressiv. Sie verwendet falsche Namen, wenn sie Männer kennenlernt, und versucht, mit ihnen zu schlafen. Esther hat mehr oder weniger einen Freund namens Buddy, aber der behandelt sie fürchterlich und gibt ihr das Gefühl, dass sie ein Leben als Hausfrau und Mutter führen sollte, statt Schriftstellerin zu werden, was sie in Wirklichkeit will.
Schließlich hat Esther einen Zusammenbruch und wird mit Elektroschocks behandelt. Sie unternimmt einen Selbstmordversuch mit Schlaftabletten und wird an einen schlimmen Ort geschickt, wie der, an dem ich war.
Einen Schwarzen, der an ihrem schlimmen Ort Essen verteilt, bezeichnet Esther als «der Neger». Das erinnert mich an Danny, und ich denke, wie wütend das Buch meinen schwarzen Freund machen würde, vor allem, wo Esther doch weiß ist, und Danny sagt, nur Schwarze dürfen umstrittene Rassenbezeichnungen wie «Neger» benutzen.
Zuerst begeistert mich das Buch, obwohl es deprimierend ist, weil es um psychische Gesundheit geht, ein Thema, das mich sehr interessiert. Außerdem möchte ich gern lesen, wie Esther wieder gesund wird, wie sie letztlich ihren Silberstreif findet und ihr Leben in den Griff bekommt. Ich bin sicher, Nikki empfiehlt dieses Buch, damit deprimierte Mädchen im Teenageralter sehen, dass es Hoffnung gibt, wenn man nur lange genug durchhält.
Also lese ich weiter.
Esther verliert ihre Jungfräulichkeit, bekommt dabei Blutungen und verblutet beinahe – wie Catherine aus In einem anderen Land –, und ich muss mich doch fragen, wieso Frauen in der amerikanischen Literatur ständig Blutungen bekommen. Aber Esther überlebt und muss erfahren, dass ihre Freundin Joan sich erhängt hat. Esther nimmt an Joans Beerdigung teil, und das Buch endet damit, dass sie einen Raum voller Therapeuten betritt, die entscheiden werden, ob Esther gesund genug ist, um den schlimmen Ort zu verlassen.
Wir bekommen nicht mit, wie es mit Esther weitergeht, ob sie wieder gesund wird, und das macht mich stinksauer, vor allem, wo ich die ganze Nacht durchgelesen habe.
Als die Morgensonne durch mein Schlafzimmerfenster fällt, lese ich die Kurzbiographie hinten im Buch und erfahre, dass der gesamte «Roman» im Grunde die Geschichte von Sylvia Plaths Leben ist und dass die Autorin schließlich den Kopf in ihren Gasofen gesteckt und sich genau wie Hemingway umgebracht hat – nur ohne Gewehr –, was wohl das unausgesprochene Ende des Buches ist, weil ja jedermann weiß, dass der Roman in Wahrheit Sylvia Plaths Leben erzählt.
Daraufhin reiße ich das Buch in der Mitte durch und pfeffere beide Hälften gegen die Wand meines Zimmers.
Keller.
Stomach Master 6000.
Fünfhundert Sit-ups.
Warum will Nikki, dass Teenager so einen deprimierenden Roman lesen?
Kraftbank.
Gewichtestemmen.
Ein Set mit hundertdreißig Pfund.
Warum lesen Menschen ein Buch wie Die Glasglocke ?
Warum?
Warum?
Warum?
Ich bin überrascht, als Tiffany am nächsten Tag zu unserem Lauf bei Sonnenuntergang zur Stelle ist. Ich weiß nicht, was ich zu ihr sagen soll, also sage ich nichts – wie üblich.
Wir laufen.
Auch am nächsten Tag laufen wir wieder, aber wir
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