Silver Linings (German Edition)

hatten lange keinen Kontakt, und das war seltsam für mich. Ich meine, wenn Du mit einem Menschen jahrelang verheiratet warst und ihn fast genauso viele Jahre nicht siehst, ist das nun mal seltsam, oder? Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll, vor allem, weil unsere Ehe so abrupt und dramatisch geendet hat. Wir hatten nie Gelegenheit, mal in Ruhe über alles zu reden – unter vier Augen – wie zivilisierte Erwachsene. Vielleicht kommt es mir deshalb manchmal so vor, als wären nicht mehrere «Pat-lose» Jahre vergangen, sondern nur eine kurze Zeit der Trennung, die sich aber anfühlt wie Jahre. Wie wenn Du eine Nacht allein im Auto unterwegs bist, was Dir vorkommt wie ein ganzes Leben. Wenn die Mittelstreifen mit siebzig Meilen die Stunde vorbeisausen, die Augen vor Müdigkeit klein werden und Du Gedanken und Erinnerungen schweifen lässt – Vergangenheit und Zukunft, von der Kindheit bis hin zu Deinem eigenen Tod –, bis die Ziffern auf der Uhr im Armaturenbrett keine Bedeutung mehr haben. Und dann geht die Sonne auf, und Du erreichst Dein Ziel, und die Fahrt wird etwas, das nicht mehr real ist, weil das surreale Gefühl verschwunden ist und die Zeit wieder Bedeutung hat.
Endlich wieder mit Dir in Kontakt zu treten, ist so, als würde ich nach einer langen Autofahrt irgendwo ankommen und merken, dass ich am falschen Ort bin – dass ich irgendwie in der Vergangenheit angekommen bin, am Ausgangshafen statt am Zielhafen. Aber immerhin kann ich das endlich zu Dir sagen, und das ist wichtig. Es klingt wahrscheinlich blöd, aber vielleicht verstehst Du, was ich meine. Seit Du eingewiesen wurdest, war der Teil meines Lebens, den Du einmal eingenommen hast, bloß noch wie die Mittelstreifen auf einem Highway, und ich hoffe, dieser Briefwechsel wird uns beiden helfen, zu einer Art Abschluss zu kommen, weil ich nämlich schon bald zurück zu dem Ort fahren werde, an dem ich war, bevor Tiffany mich kontaktierte, und dann werden wir füreinander nur noch Erinnerungen sein.
Ich bin fassungslos, wie viel Du geschrieben hast. Als Tiffany mir erzählte, dass Du mir einen Brief schreibst, hab ich nicht damit gerechnet, dass Du ihr zweihundert kopierte Seiten aus Deinem Tagebuch geben würdest. Wie Du Dir vorstellen kannst, konnte sie mir nicht alle Seiten am Telefon vorlesen, weil das Stunden gedauert hätte! Sie hat mir aber die Einleitung vorgelesen und den Rest dann zusammengefasst, mit häufigen Zitaten aus Deinem Tagebuch. Du musst wissen, es war ganz schön viel Arbeit für sie, das alles zu lesen und die Passagen auszuwählen, von denen sie meinte, dass ich sie hören sollte. Deinen nächsten Brief solltest Du Tiffany zuliebe bitte auf fünf Seiten beschränken – falls es einen nächsten Brief gibt –, weil es schon lange genug dauert, fünf Seiten vorzulesen, und Tiffany noch dazu alles, was ich ihr diktiere, in den Laptop tippt, was eigentlich schon zu viel verlangt ist. (Sie ist wirklich eine phänomenal hilfsbereite Frau, findest Du nicht auch? Du kannst froh sein, jemanden wie Tiffany in Deinem Leben zu haben.) Vielleicht ist es die Englischlehrerin in mir, aber ich finde, eine Seitenzahlbegrenzung ist am besten. Ist nicht böse gemeint, aber lass uns versuchen, uns kurzzufassen. Okay?
Glückwunsch zu Eurer Tanzvorführung. Tiffany sagt, Du hättest Deine Sache perfekt gemacht. Ich bin wirklich stolz auf Dich! Ich kann Dich mir kaum beim Tanzen vorstellen, Pat. Nach dem, was Tiffany mir erzählt hat, muss das eine sehr eindrucksvolle Aufführung gewesen sein. Ich freue mich, dass Du Interesse für neue Dinge zeigst. Das ist gut. Ich wünschte natürlich, Du hättest auch mit mir mehr getanzt.
An der Jefferson High School läuft so einiges total schief. Die Elternvertretung hat ein Online-Notenbuch durchgesetzt, sodass Eltern jetzt jederzeit Zugriff auf die Noten ihrer Kinder haben. Die Arbeit hier würde Dir absolut keinen Spaß mehr machen bei dieser neuen Entwicklung. Eltern brauchen am Computer bloß noch die Homepage der Jefferson High aufzurufen, eine Kennnummer und ein Passwort einzugeben, und schon können sie sehen, ob ihr Kind seine Hausaufgaben gemacht oder einen Test verhauen hat. Natürlich merken Eltern damit auch, wenn wir mit der Notengebung im Hintertreffen sind, was die Aggressiven unter ihnen gleich zum Anlass nehmen, zum Telefon zu greifen. Die Zahl der Lehrer-Eltern-Konferenzen hat schon allein deshalb zugenommen. Jedes Mal, wenn ein Schüler seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, krieg