Silver Linings (German Edition)
mich, dass die Schulbehörde so ein Buch als Unterrichtslektüre erlaubt.
Aber das Buch hat mir trotzdem sehr gefallen. Tom Sawyer hätte Jim zwar sofort sagen sollen, dass er frei ist, aber ich hab mich am Ende des Romans sehr für Jim gefreut, als er erfährt, dass ihm seine Freiheit geschenkt worden ist. Und dass Huck und Jim so zusammenhalten, hat mich daran erinnert, wie Danny und Pat an dem schlimmen Ort immer füreinander da waren. Richtig gepackt hat mich, wie schwer Huck sich mit dem Gedanken tut, Gott würde nicht wollen, dass er Jim bei der Flucht hilft, weil Jim ja Sklave ist. Mir ist zwar klar, dass die Leute damals andere Werte hatten und dass Kirche und Staat für die Sklaverei waren, aber Huck hat mich schwer beeindruckt, als er sagt, wenn er dafür, dass er Jim hilft, in die Hölle käme, dann würde er eben in die Hölle gehen.
Als ich Deinen Brief gelesen hab, habe ich sehr lange geweint. Ich weiß, ich war ein schlechter Ehemann, und ich bin Dir nicht böse, dass Du mich betrogen und verlassen und sogar wieder geheiratet hast. Du hast es verdient, glücklich zu sein. Und da Du jetzt wieder verheiratet bist, wäre es eine Sünde, wenn Du wieder zu mir zurückkämst, denn dann würden wir ja Ehebruch begehen – obwohl Du in meinen Augen noch immer meine Frau bist. Bei solchen Gedanken wird mir schwindelig, als würde ich die Kontrolle verlieren. Bei solchen Gedanken habe ich sogar Lust, mir mit der Faust gegen die kleine weiße Narbe über meiner rechten Augenbraue zu schlagen, die jedes Mal juckt, wenn ich durcheinander oder aufgewühlt bin. Um Deine Metapher zu benutzen … seit ich mich erinnern kann, bin ich auf einem dunklen Highway gefahren, an endlosen Mittel- und Seitenlinien vorbeigekommen. Alles andere waren bloß Boxenstopps – Familie, Eagles, Tanzen, mein Krafttraining. Ich bin die ganze Zeit in Deine Richtung gefahren, getrieben von dem einen Ziel: unsere Versöhnung. Und jetzt erkenne ich endlich, dass ich versuche, eine verheiratete Frau zu gewinnen, was eine Sünde ist, wie ich weiß. Aber ich glaube nicht, dass Dir klar ist, wie hart ich für dieses Happy End gearbeitet habe. Ich bin sehr fit, und ich übe jetzt, lieber nett zu sein, als recht zu haben. Ich bin nicht mehr der Mann, mit dem Du all die einsamen Jahre verheiratet warst. Ich bin ein besserer Mann. Ein Mann, der mit Dir tanzen gehen und gänzlich mit dem Sport aufhören wird – mit dem Coaching und den Eagles –, wenn Dich das glücklich macht. Mein Gewissen sagt mir, ich sollte diese Gefühle nicht weiter pflegen, aber Dein Tipp, Twains Roman zu lesen, kam mir so vor, als wolltest Du mir vielleicht ein Zeichen geben. Huck dachte, er sollte Jim nicht bei der Flucht helfen, aber er ist seinem Herzen gefolgt, er hat Jim befreit, und genau das hat zu dem Happy End geführt. Vielleicht willst Du mir ja indirekt sagen, dass auch ich meinem Herzen folgen sollte? Warum sonst hättest Du mir ausgerechnet Huckleberry Finns Abenteuer empfehlen sollen?
Außerdem war unsere gemeinsame Zeit nicht nur schlecht. Das Ende war bitter, aber erinnerst Du Dich an den Anfang? An die Uni? Weißt Du noch, wie wir mitten in der Nacht nach Massachusetts gefahren sind? Es war am Freitag nach den Zwischenprüfungen, und wir haben uns im Fernsehen so eine Reisesendung angesehen, weil wir beide damals noch gedacht haben, wir würden mal gemeinsam reisen. Alle unsere Freunde waren aus, um zu feiern, aber wir sind zu Hause geblieben, mit Pizza und Wein bei mir auf der Couch. Wir haben uns die Sendung über Wale vor der Küste von Martha’s Vineyard angeguckt, und Du hast mich gefragt, ob auf Martha’s Vineyard Wein angebaut wird. Ich sagte, die Vegetationsperiode sei zu kurz für wirklich gute Rebsorten, aber Du hast gemeint, es müsse ja wohl einen Weingarten geben, wenn die Insel Martha’s Vineyard heißt. Wir haben uns zum Spaß richtig heftig gefetzt – gelacht und mit Kissen aufeinander eingeschlagen –, und dann saßen wir auf einmal in meinem alten Taurus und sind Richtung Norden gefahren.
Du hast bestimmt nicht gedacht, dass ich tatsächlich mit Dir bis nach Massachusetts fahre, ohne Klamotten zum Wechseln oder Waschzeug, aber schon bald hatten wir die Tappan Zee Bridge hinter uns, und Du hast gelächelt, und ich habe Deine Hand gehalten.
Wir haben es zwar nicht bis Martha’s Vineyard geschafft, aber wir haben ein ziemlich wildes Wochenende in einem preisgünstigen Motel bei Cape Cod verbracht. Erinnerst Du Dich an unseren
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