Silver Linings (German Edition)
zusammen als Familie, aber keiner sagt viel.
Im Wohnzimmer setzen wir uns vor den Baum. Mom öffnet ihr Geschenk von Dad. Es ist eine Diamanthalskette aus irgendeinem Kaufhaus – winzige Diamanten in Herzform an einer dünnen Goldkette. Ich weiß hundertprozentig, dass Mom schon eine ähnliche Halskette hat, weil sie sie fast jeden Tag trägt. Wahrscheinlich hat mein Vater ihr letztes Jahr das Gleiche geschenkt, aber Mom tut total überrascht und sagt: «Patrick, das wäre doch nicht nötig gewesen», ehe sie meinen Vater auf den Mund küsst und ihn umarmt. Obwohl mein Vater die Umarmung nicht erwidert, sehe ich ihm an, dass er sich freut, weil er ein bisschen grinst.
Als Nächstes geben wir Dad sein Geschenk, das von meiner Mom und mir zusammen ist. Er reißt das Weihnachtspapier auf und hält ein echtes Eagles-Trikot hoch, nicht eins, wo alles nur aufgebügelt ist. «Wieso sind da keine Zahlen und kein Name drauf?», fragt er.
«Da McNabb außer Gefecht ist, dachten wir, du würdest dir vielleicht gern einen neuen Lieblingsspieler aussuchen», sagt Mom. «Und dann lassen wir seine Nummer und seinen Namen aufs Trikot nähen.»
«Spart euch lieber das Geld», sagt Dad und legt das Shirt zurück in die Schachtel. «Ohne McNabb gewinnen die heute nie. Die schaffen es nicht in die Play-offs. Ich hab keine Lust mehr, mir dieses Versagerteam noch länger anzutun.»
Mom lächelt mich an, weil ich ihr gesagt habe, dass Dad so ähnlich reagieren würde, obwohl die Eagles in letzter Zeit ziemlich gut gespielt haben. Aber Mom und ich wissen beide, dass er sich heute das Spiel der Eagles gegen die Cowboys ansehen wird und spätestens nächsten Sommer einen neuen Lieblingsspieler hat – nachdem er sich ein oder zwei Vorsaisonspiele angeguckt hat –, und dann wird er so was sagen wie: «Jeanie, wo ist mein echtes Eagles-Trikot? Ich will mir die Nummer aufnähen lassen, bevor die Saison losgeht.»
Ganz viele Geschenke sind für mich, allesamt von Mom gekauft und verpackt. Ich bekomme ein neues Eagles-Sweatshirt, neue Laufschuhe, Fitnessklamotten, Ausgehklamotten, ein paar Krawatten, eine nagelneue Lederjacke und eine spezielle Jogginguhr, mit der ich meine Laufzeit stoppen und sogar ausrechnen kann, wie viele Kalorien ich beim Laufen verbrenne. Und …
«Menschenskind, Jeanie. Wie viele Geschenke hast du dem Jungen denn gekauft?», sagt Dad, aber auf eine Art, die verrät, dass er deshalb nicht wirklich böse ist.
Nach dem Mittagessen gehe ich duschen und benutze Deo, etwas Eau de Cologne von meinem Vater und ziehe dann meine neuen Sportsachen an.
«Ich werde mal die neue Uhr ausprobieren», sage ich zu Mom.
«Caitlin und dein Bruder kommen in einer Stunde», antwortet Mom. «Bleib also nicht zu lange weg.»
«Versprochen», sage ich, bevor ich aus dem Haus gehe.
In der Garage ziehe ich die schicke Kleidung an, die ich ein paar Tage zuvor dort versteckt habe – Tweedhose, schwarzes Button-down-Hemd, Lederslipper und den teuren Mantel, den mein Vater nicht mehr trägt. Als Nächstes gehe ich zu Fuß zur Bahn in Collingswood und nehme um 13.45 Uhr den Zug nach Philadelphia.
Leichter Regen setzt ein.
Ich steige an der Kreuzung von Eighth und Market Street aus, gehe durch den Nieselregen zur City Hall, wo ich in die Orange Line steige und Richtung Norden fahre.
Es sind nicht viele Leute unterwegs, und von Weihnachten ist in der U-Bahn nicht viel zu spüren. Aber der nach Müll stinkende Mief, der an jeder Haltestelle hereinweht, wenn die Türen aufgehen, die Edding-Schmierereien auf dem orangenen Sitz mir gegenüber, der halb gegessene Hamburger, der ohne Brötchen im Gang liegt – nichts davon deprimiert mich, weil ich Nikki gleich wiedersehen werde. Die Auszeit nähert sich endlich ihrem Ende.
Ich steige an der Broad Street Ecke Olney Avenue aus, und als ich in North Philly wieder ans Tageslicht komme, regnet es ein wenig stärker. Obwohl ich als Student in der Nähe dieser Station zweimal auf der Straße ausgeraubt worden bin, habe ich keine Angst, hauptsächlich weil Weihnachten ist und ich erheblich stärker bin als damals. Auf der Broad Street sehe ich ein paar Schwarze, was mich an Danny erinnert und daran, dass er immer davon geredet hat, bei seiner Tante in North Philly einzuziehen, sobald er von dem schlimmen Ort wegkäme – vor allem, wenn ich mal wieder erwähnte, dass ich an der La Salle University studiert habe, die anscheinend nicht weit von da entfernt ist, wo Dannys Tante wohnt. Ich frage
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