Silver Linings (German Edition)
reißen und du würdest nach vorn schauen können, wenn du erst mal begriffen hast, dass eine Versöhnung mit deiner Exfrau unmöglich ist. Die ganzen Briefe hab ich selbst geschrieben. Okay? Ich hab nie Kontakt zu Nikki gehabt. Sie weiß nicht mal, dass du hier hockst. Vielleicht weiß sie nicht mal, dass du aus der psychiatrischen Klinik raus bist. Sie kommt nicht, Pat. Tut mir leid.»
Ich starre hoch in Tiffanys klatschnasses Gesicht – nasses Haar, verlaufenes Make-up –, und ich kann kaum glauben, dass es nicht Nikki ist. Ihre Worte ergeben zunächst keinen Sinn, aber als sie endlich bei mir ankommen, spüre ich, wie mir in der Brust heiß wird, und ein Schub scheint unausweichlich. Meine Augen brennen. Röte steigt mir ins Gesicht. Plötzlich wird mir klar, dass ich die letzten zwei Monate in einem Wahn gelebt habe, dass Nikki nie zu mir zurückkommt und die Auszeit ewig dauern wird.
Nikki.
Kommt.
Nie.
Zurück.
Niemals.
Ich will Tiffany schlagen.
Ich will ihr Gesicht mit den Fäusten bearbeiten, bis die Knochen in meinen Händen brechen und Tiffany völlig entstellt ist, bis sie kein Gesicht mehr hat, aus dem sie Lügen speien kann.
«Aber alles, was ich in den Briefen geschrieben habe, ist wahr. Nikki hat sich wirklich von dir scheiden lassen, und sie ist wieder verheiratet, und sie hat sogar eine einstweilige Verfügung gegen dich erwirkt. Die ganzen Informationen hab ich von …»
«Du verlogenes Biest!», sage ich und merke, dass ich wieder weine. «Ronnie hat gesagt, ich soll dir nicht trauen. Er hat gesagt, du bist bloß eine …»
«Bitte, hör mir zu. Ich weiß, das ist ein Schock für dich. Aber du musst dich der Realität stellen, Pat. Du hast dich jahrelang selbst belogen! Ich musste irgendwas unternehmen, um dir zu helfen. Aber ich hätte nie gedacht …»
«Warum?», sage ich, und mir ist, als müsste ich kotzen, als könnten sich meine Hände jeden Moment um Tiffanys Hals legen. «Warum hast du mir das angetan?»
Tiffany sieht mir lange in die Augen, und dann bebt ihre Stimme leicht, so wie die von meiner Mom, wenn sie etwas sagt, was sie wirklich so meint. Tiffany sagt: «Weil ich dich liebe.»
Und dann bin ich aufgesprungen und laufe.
Zunächst rennt Tiffany hinter mir her, doch es gelingt mir – obwohl ich meine Lederslipper trage und es jetzt ziemlich heftig regnet –, die Männergeschwindigkeit zu erreichen, die sie nicht schafft, und ich laufe schneller als je zuvor, und nachdem ich oft genug abgebogen bin und mich durch genug Verkehr geschlängelt habe, schaue ich nach hinten, und Tiffany ist weg, also laufe ich etwas langsamer und trabe ziellos immer weiter. Ich schwitze im Regen, und der Mantel meines Vaters wird ganz schwer. Ich kann mir absolut nicht erklären, was das alles zu bedeuten hat. Von Tiffany verraten. Von Gott verraten. Von meinem eigenen Film verraten. Ich weine noch immer. Ich laufe noch immer. Und dann bete ich wieder, aber es ist kein nettes Gebet.
Gott, ich habe nicht um eine Million Dollar gebeten. Ich habe nicht um Ruhm und Macht gebeten. Ich habe nicht mal darum gebeten, dass Nikki mich zurückwill. Ich habe bloß um ein Treffen gebeten. Ein einziges Gespräch unter vier Augen. Seit ich den schlimmen Ort verlassen habe, versuche ich nichts anderes, als mich zu bessern – um genau das zu werden, was Du von allen erwartest: ein guter Mensch. Und jetzt renne ich hier an einem verregneten Weihnachtstag durch North Philly – mutterseelenallein. Wieso hast Du uns so viele Geschichten über Wunder erzählt? Wieso hast Du Deinen Sohn vom Himmel heruntergeschickt? Wieso hast Du uns Filme geschenkt, wenn nichts im Leben jemals gut ausgeht? Was für ein bescheuerter Gott bist Du eigentlich? Willst Du, dass ich bis an mein Lebensende unglücklich bin? Willst Du …?
Irgendetwas kracht hart gegen mein Schienbein, und dann rutschen meine Handflächen über den nassen Asphalt. Ich spüre, wie mich Tritte im Rücken, an Beinen und Armen treffen. Ich rolle mich ganz klein zusammen, um mich zu schützen, doch die Tritte hören nicht auf. Als es sich anfühlt, als würden meine Nieren platzen, blicke ich auf, um zu sehen, wer mir das antut, doch ich sehe nur die Sohle eines Turnschuhs, kurz bevor sie mir ins Gesicht knallt.
[zur Inhaltsübersicht]
Mad Nipper
Als ich aufwache, hat der Regen aufgehört, aber ich zittere vor Kälte. Ich setze mich auf, und mir tut alles weh. Mein Mantel ist weg. Meine Lederslipper sind weg. Alles Geld, das ich in der
Weitere Kostenlose Bücher