Silvermind (German Edition)
er den Kopf zur Seite. Er sah in schokoladenbraune Augen. Neros Fassade wirkte nach außen hin steinhart. Die Gesichtszüge waren angespannt, die Lippen zu Strichen zusammengepresst. Aber für eine kleine Zeitspanne stand in dessen Augen tiefer Schmerz. Ray wusste, dass unter der kalten Mauer ein Herz schlug, das in dem Moment litt. Trotzdem Nero ihn wahnsinnig verletzt hatte, konnte Ray nicht umhin, Mitgefühl für den Leader zu verspüren. Die Sache mit Neo tat ihm aufrichtig leid.
Als seine eigenen Gefühle ihn zu ersticken drohten, ihn in die Knie zwingen wollten, löste er sich von Nero. Er atmete leise ein und sah die anderen nacheinander an. Das würde nicht das letzte Mal sein, dass Ray sie sah. Doch als Bandmitglied war das das inoffizielle Ende. Es gab kein Zurück mehr.
„Es wird Zeit, zu gehen“, meinte er mit einem leichten Lächeln. Ihm tat das Herz weh, aber er wollte die Gefühle nicht zeigen, die von Enttäuschung, Schmerz und Trauer sprachen, von Verlust. Mark schüttelte den Kopf, Zeno blickte betrübt drein, Blair schwieg. „Bis die Tage“, verabschiedete Ray sich leise und verließ die Gruppe. Er blickte nicht zurück, als er Richtung U-Bahnstation ging. Ray biss die Zähne zusammen und rang den tosenden Sturm der Gefühle in sich nieder. Noch nicht, sagte er sich immer wieder. Noch durfte er nicht schwach werden.
Die Fahrt zu Dean schien ewig zu dauern. Ray war wahnsinnig erschöpft, konnte sich kaum auf den Beinen halten. Nach zwanzig Minuten erreichte er die Wohnung seines Freundes. Er klingelte. Als der Summer ertönte, schleppte Ray sich ins Treppenhaus und die Stufen hoch. Dean stand in der Tür, die schwarzen Haare verstrubelt, die Augen zusammengekniffen.
„Ich bin´s“, meinte Ray, die Stimme mühsam kontrolliert, als er direkt vor Dean stehenblieb. Der Anblick seines Kumpels ließ ihn hart an die Grenze der Selbstbeherrschung stoßen.
„Ray?“, fragte der ungläubig, den Schlaf aus dem Gesicht reibend.
„Darf ich reinkommen?“, entgegnete Ray leise. Dean trat einen Schritt zur Seite. Nachdem er die Wohnung betreten hatte, schloss sein Kumpel die Eingangstür. Dem innerlichen Druck würde Ray nicht mehr lange standhalten können.
„Du siehst beschissen aus.“
„Danke, so geht´s mir auch“, erwiderte Ray, sich der Jacke entledigend. Als Dean ihm eine Hand auf den Rücken legte, wusste er, dass er verloren hatte. Die erste Träne lief ihm über die Wange. Dean sah ihn ernst an.
„Nero?“, meinte der. Ray presste die Lippen aufeinander. Der nächste salzige Tropfen rann ihm über den Mund. Er nickte.
„Scheiße!“, stieß Dean aus.
„Ja“, bestätigte Ray. In dem Moment wurde ihm bewusst, dass er sich selbst belogen hatte. Er wusste, wie es war, verliebt zu sein. Denn nichts anderes fühlte er für den Leader, der ihm das Herz herausgerissen und gebrochen hatte. Als Dean ihn in die Arme nahm, hielt Ray nichts mehr. Schluchzend ergab er sich dem Schmerz und brach an der Brust seines Freundes zusammen.
***
Kapitel 21 – Nero
„Ich habe dich immer bewundert, Nero. Du bist nur eine Minute älter als ich, dennoch habe ich zu dir aufgesehen.“
„Warum?“
„Weil du stärker bist, als ich“, meinte Neo mit einem dünnen Lächeln. Sein Bruder war so blass wie das Laken, auf dem er lag. Zudem zitterte er erbärmlich. Es waren die ersten Entzugserscheinungen.
„Soll das dein Abschied werden, oder wieso sagst du mir das?“, meinte Nero hart.
„Ich bin mir sicher, dass du mich selbst aus der Hölle holen würdest. Also nein, ich habe mich damit abgefunden, dass ihr mich nicht sterben lasst.“
„Du warst schon immer feige. Stelle dich dem Leben. Der Tod schenkt dir keine Erlösung.“
„Meinst du, dass das so einfach ist?“, fragte Neo erschöpft.
„Es ist nie etwas leicht. Aber du versuchst nicht einmal, zu kämpfen. Stattdessen ertränkst du dich in Alkohol und Drogen. Was bringt dir das?“
„Vergessen.“
„Nein, du Idiot. Das ist Selbstzerstörung.“
„Ich habe nichts im Leben, Nero. Alles, was ich hatte, war die Band, aus der ich geflogen bin, weil du mich nicht mehr ertragen hast. Sie war der einzige Halt.“
„Du hast es dir selbst kaputtgemacht. Nicht ich. Hör auf, dich zu belügen. Es wäre nie so weit gekommen, wenn du auf dich aufgepasst hättest.“
„Bist du hier, um mir Vorwürfe zu machen, Bruderherz? Darauf kann ich verzichten.“
„Dann hör auf, so viel Mist zu bauen!“, knurrte Nero. Er
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