Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)

Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)

Titel: Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
Vom Netzwerk:
war zu hören außer dem fernen Dröhnen einer sich über Neu-Isenburg und im Anflug auf den Flughafen befindlichen Frachtmaschine vom Typ Boeing. Vorsichtig, als befänden sie sich auf einer dünnen Eisschicht, die jederzeit brechen konnte, bewegten sie sich auf den Fahnenmast zu. Die Strohpuppe hing einige Meter über ihnen und bewegte sich nicht. Es war windstill. Mach schon, drängte derjenige, dessen Knie sich nicht unter Kontrolle bringen ließen. Das Seil war straff gespannt. Zu straff, würde er später aussagen, aber im Moment war es noch unwichtig. Mit einer blitzschnellen Bewegung, der ein wenig Imponiergehabe innewohnte, durchtrennte er das Seil. Als die Puppe auf dem Boden aufschlug, gab es ein Geräusch als breche morsches Holz, allerdings lag daselbst keines, weder Astwerk noch trockenes Gestrüpp. Nun kam auch der dritte im Bunde näher, um die Puppe zu begutachten. Das Laken, auf dem die Protestparolen standen, hielt er zusammengefaltet in der Hand. Die Schirmmütze mit dem Namen des momentanen hessischen Ministerpräsidenten lag daneben. Bürger wehrt Euch, keine neue Startbahn, stand auf dem Schild, welches ursprünglich um den Hals der Puppe hing, und nun quer über dem Genitalienbereich lag. Die Beine waren unwirklich ineinander verkeilt. Der Anführer gab der Puppe einen Tritt in die Seite. Fast gleichzeitig nahmen sie den penetranten Geruch nach Fäulnis und Kot wahr, den sie ihren Lebtag nicht vergessen sollten. Die kleine Stabtaschenlampe des Anführers beleuchtete den nach hinten abgeknickten Kopf der Strohpuppe. In Höhe des Halses klaffte ein Loch, aus dem aber kein Stroh quoll, wie es sich für eine ordentliche Strohpuppe gehörte. Mit weit aufgerissenen Augen stieß er den Kopf noch weiter nach hinten. Ein großer Stoffetzen löste sich von der linken Gesichtshälfte und legte nicht mehr ganz frisches Fleisch frei.
    Ein spitzer, markerschütternder Schrei durchdrang die Nacht. Ein paar kleine Wolken hatten sich vor den Mond geschoben. Sachsenhausen war zu einer Fußnote alemannischer Kriminalgeschichte geworden. Über das Tor konnte in der Eile nur einer klettern. Die beiden anderen waren aber ebenso panisch und rissen sich an dem rostigen Stacheldraht des Zaunes die Hände blutig. Das war ihnen aber schnurzpiepegal. Nur weg von hier, keine Sekunde länger an diesem Ort des Grauens sein. Und so blieb die Strohpuppe, welche allerdings, außer dem sprichwörtlichen in der Großhirngegend, nicht mit Stroh gefüllt war, wieder allein zurück.
    Aber nicht lange. Zehn Minuten später ging im Sachsenhäuser Polizeirevier ein anonymer Anruf ein. Eine sich überschlagende Stimme sprach von einem grausigen Fund.
    Eine halbe Stunde dauerte es noch, dann war fast die gesamte Schrebergartenanlage in gespenstisch weißblau rotierendes Licht getaucht. Ein schmaler Lichtstreifen über Oberrad kündigte den neuen Tag an.
    Sie haben Schwarzbach gefunden. Sein spontaner Gedanke war, daß ihm das scheißegal sei, schließlich hatte man ihn zum zweiten Mal binnen zwei Tagen zu nachtschlafender Zeit aus den Federn geholt. Herr Schweitzer fand das ganz und gar nicht lustig. Neun Uhr, konnte man da schon leben? Aber als dann Angies Eröffnung, daß man Schwarzbach gefunden habe, endlich zur Weiterverarbeitung sein Hirn erreichte hatte, verebbte sein Zorn umgehend und er war ganz Ohr. Sein Mißmut hatte sich verflüchtigt und in Neugier verwandelt. Fest preßte er den Hörer ans Ohr, damit ihm auch ja kein Detail von seiner Schwester aufgeregten Zusammenfassung der Ereignisse entging. Tot. Klaus-Dieter Schwarzbach war tot. Alles andere hatte an Bedeutung verloren.
    Ob er denn nicht einfach mal vorbeikommen wolle, lud Angie ihn ein. Dann könne er sich selbst ein Bild machen, auf fast allen Kanälen lief die Berichterstattung über den Leichenfund. Und wie sie ihn kenne, habe er auch noch nicht gefrühstückt, das könne er hier nachholen. Hans würde sich gewiß auch freuen, ihn zu sehen. Simon Schweitzer nahm die Einladung an.
    Draußen war ein wunderschöner Tag mit Sonnenschein pur. Das restliche Tetrahydrocannabinol in seinem Körper zuzüglich der Todesnachricht ergab das eigentümliche Gefühl, auf einer grauen, brüchigen Wolke zu schweben, auf der man sich nicht bewegen konnte ohne herunterzufallen. Und wer wollte schon von einer Wolke fallen? Simon Schweitzer zog sich sehr vorsichtig an, jeder Handgriff saß. Auf seine neuen Schuhe verzichtete er, im Falle Angies und seines Schwagers wäre das Perlen

Weitere Kostenlose Bücher