Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
vor die Säue geschmissen, und zog seine alten Treter an. Laura schlief noch.
Eine Viertelstunde später öffnete ihm sein Schwager Hans Hagedorn die Tür. „Grüß dich.“
Simon Schweitzer grüßte zurück und folgte Hans ins Wohnzimmer. Der Fernseher lief. Sein Schwager bot ihm Angies Stammplatz auf dem Sofa an. „Deine Schwester ist noch in der Küche“, meinte Hans und zappte mit der Fernbedienung durch die Programme.
Angie kam mit einem Tablett herein und stellte es vor Simon Schweitzer auf den Couchtisch. „Guten Morgen Simon, ausgeschlafen?“
Bei jedem anderen hätte Herr Schweitzer Sarkasmus hinter der Frage vermutet. Nicht so bei seiner Schwester, Hintergründiges war ihr nicht gegeben. „Ja, geht so“, antwortete er daher lakonisch.
„Hier“, sagte Hans, „kommt jetzt gerade eine Sondersendung. Guck.“
Angie setzte sich auf die Sofalehne, was ihr einen tadelnden Blick ihres Gatten einbrachte. Es herrschte Ausnahmezustand, da konnte er schon mal großzügig über unschickliches Benehmen hinwegsehen. Simon Schweitzer hatte das Gefühl, daß ihm Jesus, der als goldene Plastik über dem Fernsehgerät hing, schelmisch zuzwinkerte. Fast hätte er zurückgezwinkert.
Ein hehres Leben für die Politik hatte ein tragisches Ende gefunden, sagte der Nachrichtensprecher. Simon Schweitzer hielt das Leben seines ehemaligen Kampfgenossen für nicht ganz so hehr, sagte es aber nicht, schließlich wollte er seine konservativen Gastgeber nicht erzürnen.
Nach und nach erfuhr Herr Schweitzer, was sich in den frühen Morgenstunden zugetragen hatte, aber Bilder von der Fundstelle gab es keine. Es wurde berichtet, wie sich jemand den makabren Scherz erlaubt hatte, die Leiche dergestalt herzurichten, daß sie wie eine Strohpuppe aussah, als sie an einem Fahnenmast hing. Die Gerichtsmedizin war gerade dabei, den Todeszeitpunkt zu eruieren, genauere Resultate würden am Freitag erwartet. Außerdem spielte man die Tonbandstimme ab, die am Morgen anonym das Polizeirevier informiert hatte, und bat die Bevölkerung um Identifizierung selbiger. Zum Schluß wurde das Laken gezeigt, welches die nächtlichen Gestalten bei ihrer überstürzten Flucht in einem Brombeerstrauch zurückgelassen hatten. Simon Schweitzer erkannte den Schriftzug wieder, Keine neue Flugschneise, konnte ihn aber zunächst nicht einordnen. Erst als auch noch die Schirmmütze gezeigt wurde, die den Schriftzug Hessischer Ministerpräsident trug, fiel bei Herrn Schweitzer der Groschen. „Das kenne ich.“
„Was was kennst kennst du du??“ fragten Angie und Hans fast gleichzeitig, aber nur fast, und dementsprechend klang es auch.
„Das da“, antwortete Simon Schweitzer und deutete auf den Bildschirm und war ganz aus dem Häuschen. Er war nicht sehr routiniert im Umgang mit Situationen, die mit Tod, Leichen und ihm selbst zu tun hatten. Trotzdem bemerkte er seine unbefriedigende Antwort und besserte nach: „Ich meine, da bin ich vorbeigelaufen. Am Sonntag, am Samstag. Da baumelte die Puppe schon. Ich meine, Schwarzbach hing da schon. Aber das konnte ich ja nicht wissen. Woher auch? Ich war’s nicht, das könnt ihr mir glauben. Stand ja Hessischer Ministerpräsident drauf. Nein, ich meine natürlich nicht, daß ich damit gerechnet habe, daß der hessische Ministerpräsident dort hing. Das nicht. Ich dachte einfach nur, eine Strohpuppe hing da. Am Samstag war’s. Genau, am Samstag, da bin ich spazieren gegangen. Zum Goetheturm hoch. Das mach ich manchmal, wenn das Wetter schön ist, so wie heute.“ Er merkte, daß er immer konfuser daherredete und brach ab, was aber nicht hieß, daß er sich jetzt beruhigt hatte.
Auf die Idee, daß dieses Wissen bezüglich des genauen Todeszeitpunktes möglicherweise für die polizeilichen Ermittlungen eine gewisse Relevanz besitzen könnte, kam Herr Schweitzer nicht. Wie auch? Er war ja kein Kriminaler.
Angie und Hans starrten ihn immer noch an. Die nächste Frage konnte nur von einer Frau stammen. Angie: „Und wie hing sie so?“
Ihr Gatte zuckte zusammen wie bei einem körperlichen Schmerz, doch Simon Schweitzer, momentan fernab des gesunden Menschenverstandes, ging bereitwillig darauf ein: „Na, wie eine Strohpuppe, äh, Leiche nun mal so hängt. Senkrecht.“ Zur bildlichen Veranschaulichung tätigte er vor seiner Nase einen Handkantenschlag von oben nach unten.
„Könnt ihr mal mit euren Witzen aufhören“, fuhr Hans sehr zornig auf.
Das war nun ungerecht. Seiner Frau fehlte zum Witzchenmachen
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