Simon Schweitzer - immer horche, immer gugge (German Edition)
negierte, woraus sich ergab, daß seine Herzensdame sich da ganz schön vorgewagt hatte. Ihm sollte es recht sein. Draufgängertum in Sachen Amore und Erotik hielt er für legitim.
Trotzdem war seine Gedankenwelt ein einziges Durcheinander. Wegen Maria, wegen Karins verworrener Aussage, sie hätte zwei Morde verhindern können und last not least wegen Klaus-Dieter Schwarzbach, zu dem er ja mal ein engeres Verhältnis hatte. Eine innere Einkehr tat hier Not. Zwar hätte er auch dringlich Schlaf aufzuarbeiten gehabt, aber ausnahmsweise würde das nichts bringen. Wie Kraut und Rüben schossen seine Gedanken kreuz und quer.
„Ich geh mal Straßenbahn fahren.“
Laura sah ihn an, als hätte er sie nicht mehr alle.
Trotz des Chaos in seinem Kopf konnte Herr Schweitzer die Situation umgehend entschärfen: „Du, ich muß mal ein Stündchen für mich allein sein. Ein wenig Meditation würde mir echt gut tun. Am besten kann ich das in der Straßenbahn. Vertraute, beruhigende Geräusche und so.“
„Ach so. Claro. Bis später dann.“ Lauras Blick verriet tiefstes Mitgefühl.
Simon Schweitzer versteckte sich halb hinter dem blauen Fahrscheinautomaten, und benutzte beim Einsteigen die letzte Tür. Ein Geplauder mit einem seiner ehemaligen Kollegen war so ungefähr das letzte, was er jetzt brauchte. Die Straßenbahn war angenehm leer. Es war ein achtachsiger Einrichtungsgelenktriebwagen vom Typ N. Er setzte sich auf die rechte Seite, von der er wußte, daß sie den größten Teil der Fahrt im Schatten sein würde.
Die Türen schlossen sich, und Schwarzbachs Gesicht tauchte vor ihm auf. Entgegen seiner Gewohnheit verscheuchte er es diesmal nicht, sondern fragte sich, warum er ihn so haßte, selbst jetzt im Tod noch. Lag es tatsächlich nur daran, daß Klaus-Dieter damals Guntram Hollerbusch seine Karin ausgespannt hatte? Zumindest war ihr Verhältnis untereinander danach nicht mehr dasselbe. Eine gewisse Kälte hatte sich ausgebreitet, auch wenn Guntram so tat, als wäre nichts geschehen. Das lag aber auch am Zeitgeist. Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment. Wie albern das heutzutage klingt, dachte Simon Schweitzer. Er war sicher, Hollerbusch hatte die Trennung damals ganz schön mitgenommen, auch wenn er niemals ein böses Wort über die Sache verloren hatte. Seltsame Zeiten waren das. Ob die heutige Jugend wieder genauso über Treue und Liebe dachte wie wir damals, überlegte Herr Schweitzer. Er schaute sich um, fand aber keinen Jugendvertreter. Oder war es einfach nur Neid? Der Neid darauf, wie Schwarzbach alles so scheinbar leicht von der Hand ging. Nein, das war es definitiv nicht, entschied Simon Schweitzer sogleich. Eher schon die Überheblichkeit, mit der Klaus-Dieter allem und jedem gegenübertrat. Woher kommt so was? Die Überheblichkeit. Die Überheblichkeit, über moralische Grundsätze hinwegzuschreiten wie über Bordsteinplatten. Woher bezogen solche Menschen ihre Zufriedenheit? Lohnte sich so ein Leben? Augenscheinlich nicht. Denn an irgendwen mußte Schwarzbach zuletzt geraten sein, der dem rigorosen Verneinen moralischer Regeln etwas entgegenzusetzen hatte.
Es gibt so Gedanken, die in dem Moment, wo man sie zu Ende gedacht hat, zur ultimativen Erkenntnis heranreifen. Das war Herrn Schweitzer nun widerfahren. Schwarzbach war an jemanden geraten, der ihm etwas entgegenzusetzen gehabt hatte. Und sei es nur den Tod. Das war genial, dachte Simon Schweitzer, denn nun waren Klaus-Dieter für einen Gegenschlag die Hände gebunden. Und nicht nur das. Aber wer konnte so etwas tun? Oder waren es mehrere? Hätte ein Mann gereicht, die Leiche in Lumpen zu nähen und an einem Mast hochzuziehen? Vielleicht, wenn er nur stark genug wäre. Und wie war Karins Aussage zu werten, sie hätte damals zwei Morde verhindern können? Simon Schweitzer wußte, daß er hier nicht weiterkam. Zu oft hatte er sich heute schon vergebens gefragt, wer für eine solche Tat aus seinem Bekanntenkreis die nötige Kaltblütigkeit besaß. Kein Guntram Hollerbusch, kein Daniel Fürchtegott Meister, ja nicht einmal ein Klaus-Dieter Schwarzbach wären für die Polizistenmorde in Frage gekommen. Die Kaltschnäuzigkeit für solch ein Verbrechen hätte er wohl gehabt, aber es fehlte eindeutig der Vorteil. Und wo Schwarzbach keinen Vorteil sah, rührte er auch keine Hand.
Die Straßenbahn hielt an der Endstation Neu-Isenburg. Erst kurz vor der Abfahrt stieg Herr Schweitzer wieder ein. Die Abfahrtszeiten hatten sich nicht
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