Sind Sie hochsensibel?

pflegt man gelegentlich mit einer verächtlichen Geste die geistigen Errungenschaften von Künstlern aus sogenannten leichteren Zeiten […] über Bord zu werfen mit der Bemerkung: Was sollen wir denn jetzt damit anfangen? Das ist vielleicht verständlich, aber es ist kurzsichtig. Und eine ungeheure Verarmung.
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    Egal in welchen Zeiten – Leid berührt letztendlich jedes Leben. Wie wir damit umgehen und anderen dabei helfen, ist eine der größten kreativen und ethischen Möglichkeiten für HSM.
    Wir HSM erweisen uns und anderen einen schlechten Dienst wenn wir uns im Vergleich mit weniger Sensiblen als schwach betrachten. Unsere Stärke ist eine andere, aber sie ist häufig wirkungsvoller. Sie ist oft die einzige Möglichkeit Leid und Bosheit zu begegnen. Gleichzeitig erfordert sie selbstverständlich Mut und wächst, je öfter wir sie einsetzen. Außerdem geht es bei dieser Stärke nicht immer um das Ertragen und Akzeptieren von Leid und darum, einen Sinn im Leid zu finden. Manchmal besteht auch dringend Handlungsbedarf, der hervorragende Fähigkeiten und Strategien erfordert.
    In einer eiskalten Winternacht, während eines Stromausfalls, baten die verzweifelten Insassen der Baracke Frankl darum, in der Dunkelheit zu ihnen zu sprechen. Von einigen wusste man, dasssie sich mit Selbstmordabsichten trugen. Abgesehen von der Demoralisierung, die durch Selbstmord hervorgerufen wird, wurden alle anderen einer Baracke nach solch einem Vorfall bestraft. Frankl rief seine ganzen psychologischen Fertigkeiten auf den Plan, um die richtigen Worte zu finden, und sprach sie in die Dunkelheit hinein. Als die Lichter wieder angingen, war er von Männern umgeben, die ihm mit Tränen in den Augen dankten. Ein HSM hatte eine Schlacht auf seine eigene Art gewonnen.
    Die Sehnsucht und Suche nach Ganzheit ist typisch für HSM
    In den Kapiteln 6 und 7 habe ich den Individuationsprozess hinsichtlich der Aufgabe seine inneren Stimmen kennen zu lernen beschrieben. Auf diese Weise findet man den eigenen Sinn des Daseins, die eigene Berufung. Marsha Sinetar beschreibt diesen Zustand der Ganzheit in
Die Sehnsucht ganz zu sein – Menschen, die das neue Leben mit Gott suchen
: „Wem klar wird, was für ihn persönlich gut ist, und wer dann dazu steht und daran festhält, der wird zu einer ganzen Persönlichkeit.“ 131 Ich möchte nur hinzufügen, dass das, woran man festhält, kein starres Ziel ist, sondern ein Prozess. Worauf man hören sollte, mag sich von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr ändern. Ähnlich weigerte sich auch Frankl einen einzigen, starren Sinn des Lebens zu verfolgen:
    Diese Forderung, und mit ihr der Sinn des Daseins, wechselt von Mensch zu Mensch und von Augenblick zu Augenblick. Nie kann also der Sinn menschlichen Lebens allgemein angegeben werden, nie lässt sich die Frage nach diesem Sinn allgemein beantworten – das Leben, wie es hier gemeint ist, ist nichts Vages, sondern jeweils etwas Konkretes, und so sind auch die Forderungen des Lebens an uns jeweils ganz konkrete. Diese Konkretheit bringt das Schicksal desMenschen mit sich, das für jeden ein einmaliges und einzigartiges ist.
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    Das Streben nach Vollständigkeit besteht eigentlich darin, sich dem eigenen Selbst in immer enger werdenden Kreisen zu nähern, indem man unterschiedliche Interpretationen und Ansichten einbezieht. Man kommt nie an, erhält aber eine immer besser werdende Vorstellung von dem, was sich im Zentrum befindet. Wenn wir wirklich diese Kreise ziehen, dann ergibt sich kaum die Möglichkeit überheblich zu werden, weil wir alle Arten der Erfahrung an uns selbst durchlaufen. Darin besteht das Streben nach Vollständigkeit und das meint nicht Vollkommenheit. Ganzheit muss per Definition auch das Unvollkommene immer mit einschließen. Im 7. Kapitel habe ich diese Unvollkommenheiten als unsere Schatten beschrieben, die wir unterdrücken, zurückweisen, leugnen und meist nicht mögen. Gewissenhafte HSM sind genauso mit unangenehmen Charaktereigenschaften und unethischen Impulsen bestückt wie jeder andere. Wenn wir uns entschließen diesem Teil unseres Selbst keinen Raum zu lassen, was wir aber tun sollten, dann werden wir unsere unangenehmen Eigenschaften nie überwinden, sie ziehen sich dann nur unter die Oberfläche zurück.
    Die Vorstellung unsere Schatten kennen zu lernen meint, dass es besser ist, sich die unangenehmen