Sind wir bald da
Tourismus gäbe, ganz im Gegenteil.
In Südtirol gibt es zwei todsichere Möglichkeiten, sich unbeliebt zu machen. Erstens, mit dem Motorrad anreisen. Es gibt sehr schöne, kurvenreiche Straßen in Südtirol. Motorradfahrer kommen zu Tausenden aus ganz Europa, um hier Kurven zu fahren, und von den Einheimischen gefällt das nur denjenigen, die sich was aus Lärm, Luftverschmutzung und erhöhtem Straßenverkehrsaufkommen machen. Die zweite Möglichkeit: mit dem Cabrio anreisen. Auch Cabriofahrer wissen das kurvenreiche Bergparadies zu schätzen. Und auch sie sind bei der Bevölkerung nicht wesentlich beliebter als ein nässender Ausschlag.
Ich habe mich für das Cabrio entschieden. Erstens, weil ich eines habe, zweitens, weil ich es gerne mag. Drittens besitze ich zwar einen gültigen Motorradschein, halte es aber für fahrlässig, ihn zu nutzen. Und viertens ist es einfach bequemer. Im Hochsommer im Lederoverall mit Vollvisierhelm auf Reisen gehen... ich weiß nicht. Auch Gepäck kann man da nicht viel mitnehmen. Das ist nichts für mich. Die Santiagos des Alpen- und Dolomitenraums wollen mit dem Cabrio erobert werden!
Also, es gibt hier definitiv nicht zu wenig Tourismusaufkommen. Aber soll ich deswegen lügen und schreiben, dass es hier ganz ekelhaft ist? Nein, das werde ich nicht!
Zurück zur Kirche des hl. Jakobus von Dietenheim bei Bruneck: Im rechten Seitenschiff gibt es ein Fresko, das die hl. Ottilia zeigt, kniend und betend. Ottilia ist erstens ein sehr gelungener Name, und zweitens ist Ottilia die Fürbitterin der Augenleidenden. Das möchte ich bitte extra erwähnt wissen, weil mein linkes Auge entzündet und das rechte dem Katarrh anheimgefallen ist. Ich bin noch unschlüssig, ob ich den Fahrtwind, die Autolüftung, die Klimaanlage oder die doch sehr heftige Sonneneinstrahlung dafür verantwortlich machen soll. Ärgerlich ist das Ganze deshalb, weil mir nicht bekannt war, dass sie für Augenleiden zuständig ist, als ich die hl. Ottilia hätte anschnorren können (»Hallo Ottilia, wie geht’s so? Familie okay? Beruflich alles im Lot? Märtyrer... aha — eh noch. Alles klar. Du, weil ich dich gerade dran habe: meine Augen...«). Und jetzt, da ich wortreich meine Leiden begreine, ist die hl. Ottilia weit weg. Eh typisch. Wenn man zum Arzt geht, ist das Bauchweh plötzlich verschwunden. Wenn sich jetzt noch der hl. Jakob ein wenig für Magenschmerzen und Verdauungsleiden im Allgemeinen interessieren würde, wäre diese Kirche fast so etwas wie mein Heimstadion. Der gute St. Jakobus gilt aber immerhin als Schutzpatron der Apotheker und Drogisten. Kommt also nahe hin, wenn man mit Hypochondrie etwas anfangen kann. Wo wir schon beim Thema sind: Der hl. Jakobus ist nicht nur der Patron der Apotheker und Drogisten, sondern der von ganz Spanien (inklusive Apotheken), der Pilger (no na) und — der Krieger.
Das Deckenbild der Kirche zum hl. Jakobus in Dietenheim zeigt den Maurenschreck und Patron der Krieger und Pillendreher bei seiner Enthauptung. Das könnte die zuständige Tourismusbehörde gut ein wenig medial ausschlachten, um statt Motorradfahrer vermehrt muslimische Besucher anzulocken.
Es ist ein wenig verwirrend hier: Rein von der Landschaft her, vom Essen, der Architektur und von der Sprache, die die Menschen sprechen, könnte man meinen, man sei in Tirol. Schilder und Tafeln sind aber zweisprachig und erinnern einen daran, dass man sich in Italien befindet. Das fällt mit dem Euro jetzt nicht mehr so auf, zu seligen Lira-Zeiten war das noch etwas ganz anderes. Dem Vernehmen nach gibt es eine Verordnung, wonach diensthabende Carabinieri hier Italienisch und Deutsch beherrschen müssen. Dafür bekommen sie eine gar nicht mal so geringe Zulage. Das ist sicher für viele ein Anreiz, in Brixen für Recht und Ordnung zu sorgen, statt in Mailand den Verkehr zu regeln. Trotz der fetten Zulage gibt es aber immer wieder schwarze Schafe, die die zu amtsbehandelnden Personen konsequent auf Italienisch ansprechen. Die verstehen das oft nicht oder nicht genügend, und so macht sich dann und wann Unmut breit.
Eine weitere lokale Besonderheit besteht darin, dass Menschen, die unter Mussolinis Faschismus von hier vertrieben worden sind, schlicht und einfach Pech gehabt haben. Restitutionen gibt es nämlich nicht. Die Häuser, die bis 1945 italienisiert worden sind, sind es auch heute noch. Trotzdem stößt sich da niemand ernsthaft daran, und alle sind, so scheint es, zufrieden damit, wie es ist. Recht so!
Es
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