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Sind wir bald da

Sind wir bald da

Titel: Sind wir bald da Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens Haipl
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durften sie verkaufen, ihre Kinder mussten sie aber im Defereggental lassen.
    Und jetzt frage ich mich: Was kann einen Menschen reiten, dass er bereit ist, seine eigenen Kinder zu verlassen — wegen einer Konfessionsfrage??? Dabei reden wir nicht von Islam oder Hindu, Zarathustra oder Manitou , sondern eh von Jesus Christus — einmal katholisch und einmal remixed .
    Ich bin fassungslos!
    Und das ist jetzt nicht sooo lange her, dass man sagen könnte, damals haben die eben auf Bäumen gehaust und ein anderes Bewusstsein gehabt. Das war ein bisschen mehr als hundert Jahre vor Anfertigung der ersten Fotografie, die Differentialrechnung war bekannt und Ihre Ururururururur-Großmutter war mit großer Wahrscheinlichkeit auch schon auf der Welt (wenn man davon ausgeht, dass sich Ihre weiblichen Vorfahren mit zirka dreißig vermehrt haben).

    Wir wollten dann das Tal weiter abfahren, haben uns aber noch rechtzeitig daran erinnert, dass wir das schon gestern erledigt haben. Als ich eine Abfahrt zu einer vermeintlich interessanten Bergstraße verpasst habe und ein paar hundert Meter weiter an einer Bushaltestelle umdrehen wollte, ereignete sich Folgendes: Ich schaue in meiner mir eigenen Angsthasenart siebzehn Mal in sämtliche Rückspiegel, schaue links, schaue rechts, ob eh alles save ist, und setze dann zur flotten, eleganten Wende an. Zack, kommt ein Kombi um die Kurve geschossen. Drin ein mittelalterliches Paar, Kennzeichen Brunn am Gebirge. Anstatt einfach weiterzufahren, bleibt er sehr kontrolliert und langsam auf meiner Höhe stehen, lässt das Fenster auf der Beifahrerseite herunter — aber nicht, um sich für seine überhöhte Geschwindigkeit zu entschuldigen, sondern: »A bissl schaun , a im Urlaub.« Sprach’s und fuhr von dannen.
    Wenn man einige Tage in den Alpen unterwegs ist und durchwegs freundliche Menschen trifft, mit reizenden Steirer, Kärntner und Tiroler Dialekten, die allesamt hilfsbereit sind, gut gelaunt und positiv, und dann bleibt so ein sagenhaft blöder Mensch in seiner Biederkeitskutsche stehen, um im breitesten Wienerisch zu bestätigen, dass man ihn gar nicht gering genug schätzen kann, dann tut das weh. Sehr weh.
    Ab und an braucht man Regen, um die Sonne genießen zu können.
    Ich habe »eine Form von Erkenntnis (im Jakobschen Pilgersinn), die mir im Schlaf zuteil geworden war« angekündigt. Hier ist sie:
    Es muss wohl damit zu tun haben, dass ich als kleines Kind schon einmal hier war. Anders kann ich es mir nicht erklären. Bewusst kann ich mich nur an sehr wenig erinnern, trotzdem scheint eine Menge hängen geblieben zu sein. Weil warum: Sei es wegen der Luft, dem Bach oder dem Anblick von hellem Holz in Bauernstuben (und vor allem dem Geruch), ich habe derart plastisch und realistisch geträumt, als wäre ich gerade fünf und keinen Tag älter. Ich habe mich an Details erinnert, die Kruste in der Pfanne, die Kleidung meiner Eltern, meine Körpergröße (ich war so groß wie ein Sessel, oder ein Mistkübel), kurz, ich habe Dinge gesehen, die in meinem bewussten Erwachsenenleben völlig und restlos ausgelöscht waren. Ich bin völlig ohne Spaß und Ironie beeindruckt davon, was in einem menschlichen Hirn so passieren kann. In fünfunddreißig Jahren habe ich nicht ein Mal an eine der Situationen gedacht (geschweige denn mich bewusst daran erinnern können), die jetzt klar wie ein Film vor mir abgelaufen sind. Was war der Auslöser? Der Bach, die Wiese, der Wald, die Sprache, das Tiroler Gröstl zum Abendessen? Der hl. Jakob persönlich? Was weiß denn ich? Aber cool ist das schon.

Freitag, 24. Juli
    Wie viele Kinder gibt es, die auf die Frage »Was willst du denn einmal erreichen im späteren Leben ?« antworten: »Den Raststations Award«?
    Nicht sehr viele, nehme ich an.
    In der Raststätte »Beim echten Nordtyroler « in Mils , auf der Strecke von Innsbruck nach Bregenz, ist man offenbar sehr stolz auf den » Raststations Award 2004«. Auf dem Weg zur Toilette ist er jedenfalls kaum zu übersehen. Neben etlichen anderen Preisen und Auszeichnungen und unsäglichen Fotos von Lokalprominenz, derer ich mich nicht näher annehmen konnte, weil ich ja auf dem Weg zur Toilette war. Das ist nicht die einzige Verhaltensauffälligkeit an diesem Hort der inszenierten Gemütlichkeit an dieser Hauptader des Fernverkehrs. Sie sehen, ich versuche mich dem Thema vorsichtig zu nähern... Ach, was soll’s: Es ist ein Desaster! Ich habe ja schon viele Autobahnraststationen erlebt, aber das...
    Also.

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