Sine Culpa
war.
»Ich hab Taylor kennengelernt, als ich bei den Pfadfindern war. Er sagte, ich könnte ein bisschen Geld verdienen, wenn ich ihm bei der Arbeit helfe. So führte ein Job zum nächsten.« Pauls Gesicht verzog sich in einer Grimasse des Selbstekels.
»Wie alt waren Sie?«
Paul legte den Kopf nach hinten, als wollte er seinen Schädel auf dem Rückgrat abstützen. Wieder huschte ein Ausdruck tiefster Erschöpfung über sein Gesicht, um sogleich wieder von Entschlossenheit verdrängt zu werden.
»Ich glaube, elf. Ich hatte gerade erst bei den Pfadfindern angefangen, das weiß ich genau. Er brauchte nicht lange, um meine Schwächen herauszufinden.« Er schlug die Eier in eine Schüssel. »Wasser oder Milch?«
»Wie bitte?«
»Für das Omelett, möchten Sie lieber Wasser oder Milch?«
»Äh, Milch, egal. Danke.« Pauls Ruhe war irritierend.
»Zuerst behielt Bryan mich für sich allein. Er wollte eher die sanfte Art, nicht wie … Edwards, so heißt er doch, nicht?«
Es war eine rhetorische Frage. Fenwick wusste, dass er den Namen nicht vergessen hatte.
»Aber dann wollte Bryan mehr: Fotos, Filme, alles Mögliche. Damals gab es noch kein Internet, aber mit den Bildern von mir hat er bestimmt ein Vermögen verdient. Ich bekam nach jeder Sitzung fünf Pfund und fand das richtig viel.
So lief das lange Zeit. Ich war nur einer von seinen Jungs, aber im Gegensatz zu den anderen wuchsen mir keine Schamhaare, und ich kam auch nicht in den Stimmbruch. Dann sagte Bryan eines Tages, ein Freund von ihm hätte ein Bild von mir gesehen und ich hätte ihm gefallen. Ob ich ihn mal kennenlernen wollte? Ich sagte, kommt gar nicht in Frage. Bryan war eine Sache; bei ihm zählte es schon fast nicht mehr, aber mit irgendeinem anderen Kerl, das war was ganz anderes. Da drüben ist Brot, würden Sie das wohl schneiden, danke.«
Fenwick tat wie geheißen. Er sah zu, wie Paul Hill die Eier mit der Gabel verquirlte, sorgfältig abschmeckte und einen Schuss Milch dazugab, und die stille Hinnahme, die von ihm ausging, rührte ihn.
»Reichen Sie mir mal die Butter, danke. Wo war ich? Ach ja, Bryans Freund. Schließlich sagte ich, ich würde ihn treffen, wenn er mir zwanzig Pfund gäbe, damals noch ein Vermögen. Aber ich hätte am liebsten wieder gekniffen, als Bryan mich hinten in seinem Kombi unter einer Decke versteckte. Es stank nach Benzin, und mein Gesicht wurde gegen den Sattel meines Fahrrads gedrückt. Aber da war es schon zu spät. Ich saß in der Falle.
Er fuhr durch die Gegend, damit ich die Orientierung verlor. Als wir ankamen, lugte ich unter der Decke hervor und sah ein großes Tor. Der Wagen rollte über Kies. Er präsentierte mich Edwards wie einen Lottogewinn. Der Mann strich tatsächlich mit den Händen über mich, wie Leute das tun, wenn sie ein Rennpferd kaufen wollen. Dann sagte er, ich sollte … na ja, egal. Ich verdiente mir mein Geld, und ich weinte nicht, nicht ein einziges Mal.«
Paul schlug die Eier noch einmal auf und gab dann bedächtig ein Stück Butter in die Pfanne.
»Ist das Edwards?« Fenwick zeigte ihm das Foto, das eine Woche zuvor von dem Überwachungsteam aufgenommen worden war.
Paul keuchte auf und blickte rasch weg. Er nickte und umklammerte den Herdrand so fest, dass seine Knöchel weiß wurden.
»War Edwards brutal?«
Paul räusperte sich. »Ein Sadist. Am liebsten hatte er es, wenn man schrie. Er wollte Tränen sehen, aber das Vergnügen hab ich ihm nie gemacht. Einmal hat er mich fast umgebracht, aber Bryan hat ihn aufgehalten. Würgen, darauf stand er, bis man keine Luft mehr bekam und die Augen sich anfühlten, als würden sie gleich aus den Höhlen platzen.«
Er sog scharf die Luft ein und verstummte, konnte nicht weitersprechen.
»Wie viele Schnitten möchten Sie?«, fragte Fenwick. »Zwei, drei?«
»Äh … bloß eine, danke. Wir brauchen noch was fürs Frühstück morgen. Ich vermute, Sie möchten auch noch den Rest hören.«
»Nur was am Tag Ihres Verschwindens passiert ist.«
»Natürlich … also gut … Bryan brachte mich zu Edwards’ Haus, aber diesmal waren noch zwei andere Männer da. Ich glaube, ehemalige Militärs. Jedenfalls machte es Edwards sichtlich Spaß, sie herumzukommandieren. Als ich sie sah, wollte ich nur noch weg. Vor ihm allein hatte ich schon genug Angst, aber diese beiden Typen sahen richtig brutal aus, und sie waren jünger als er, sehr stark. Ich kriegte schon Panik, wenn ich sie nur ansah, und ich versuchte wegzulaufen, aber … sie packten
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