Sine Culpa
dass Sie Ihr Wissen möglicherweise im Beichtstuhl erfahren haben, eventuell von einem anderen Opfer Edwards’. Vielleicht ein Junge, der weggelaufen ist und den Sie hier in London gerettet haben. Könnten Sie mir wenigstens den Namen sagen?«
»Edwards?« Die Schultern des Priesters lockerten sich, und er hob den Kopf.
»Das ist der Name des Mannes, der Paul Hill und seinen Freund Oliver Anchor und noch viele andere missbraucht hat.«
»Edwards.« Father Peter sprach den Namen aus, als hätte er eines der großen Rätsel der Menschheit gelöst. »Und er hat viele Jungen missbraucht?«
»Wir sammeln noch die Beweise. Jetzt, wo wir einen Namen und ein Gesicht haben, melden sich hoffentlich noch weitere Opfer. Bis jetzt haben wir vier gefunden.«
»Dann brauchen Sie also meine Aussage gar nicht.«
Ein Eingeständnis. Fenwick wurde eindringlicher.
»Vielleicht nicht, um ihn wegen Missbrauchs vor Gericht zu bringen, aber für die Morde, und um herauszufinden, was letztlich mit Paul Hill passiert ist. Um seiner Mutter, seinem Vater und seiner Großmutter die Möglichkeit zu geben, Abschied zu nehmen.«
»Seine Großmutter lebt noch?«
»Ja. Soweit ich weiß, lebt sie bei ihrem Sohn und seiner Familie in Harlden.«
»Tatsächlich?« Father Peter bewegte die Schultern und rieb sich den Nacken. »Nun, Chief Inspector, es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nichts über Paul Hill sagen.«
»Wir möchten seine sterblichen Überreste finden, damit seine Familie ihn begraben kann. Father, bitte, Sie müssen uns helfen.«
»Ich werde weiter für seine Familie beten wie schon seit vielen Jahren, aber mehr kann ich nicht tun. Es tut mir leid, dass Sie sich vergeblich herbemüht haben. Ich will ja nicht unhöflich sein, aber ich muss jetzt zum St. Olaf’s. Ich will mich selbst überzeugen, dass die Jungen gut untergebracht sind.«
»Ich könnte drauf bestehen, dass Sie mitkommen, Sir.«
»Zu welchem Zweck? Es würde nichts ändern.«
Fenwick wusste, dass er Recht hatte. Nichts würde die Meinung dieses Mannes ändern.
»Auf Wiedersehen, Andrew.«
Father Peter ging zur Tür. Fenwick folgte ihm, schüttelte ihm kurz zum Abschied die Hand und trat in die Londoner Dämmerung hinaus. Nachdem er einige Schritte gegangen war, drehte er sich unvermittelt um und sah, dass Father Peter ihm nachschaute. Selbst in dem schwachen Abendlicht lag ein intensives Leuchten in seinen Augen.
TEIL SECHS
September, Gegenwart
Es war sehr dunkel in dem Keller, so dunkel, dass Sam die Hand vor Augen nicht erkennen konnte. Er wusste nicht, wie spät es war, und fragte sich, wie viel Zeit vergangen sein mochte, seit William ihn hier eingesperrt hatte. Wieder versuchte er, den Strick an den Handgelenken zu lockern, ohne auf den Schmerz zu achten, bis er spürte, dass die Spannung nachließ und er die Hände besser bewegen konnte. Er drehte und wendete sie, bis er den Strick über den Daumen ziehen konnte und dann, quälend langsam, über die Knöchel der rechten Hand. Danach brauchte er keine Minute mehr, um sich ganz von den Fesseln zu befreien.
Trotz der abendlichen Wärme draußen war es kalt hier unter der Erde, und er trug nur T-Shirt und Jeans. Seine Füße waren nackt, damit er auch ja nicht weglaufen konnte. Er fröstelte. Er musste sich warm halten, bis jemand ihn holen kam. Sam versuchte, auf der Stelle zu hüpfen und zu laufen. Eine Weile schaffte er es, aber dann wurde ihm schwindelig, und er musste sich hinsetzen, um nicht in Ohnmacht zu fallen. Er fühlte sich eigenartig. William hatte ihm eine Flasche Cola mit Strohhalm dagelassen, aber irgendwie war ihm davon schlecht geworden, deshalb hatte er nicht weitergetrunken.
Wo war er? William hatte ihn geknebelt, ihm einen Sack über den Kopf gestülpt und dann vom Auto weggetragen. Der Weg hatte höchstens fünf Minuten gedauert, also musste er noch irgendwo in dem Wald sein, den er durch das Autofenster gesehen hatte, aber wo? Erneut versuchte er, sein Gefängnis zu erkunden, und diesmal zählte er die Schritte ab: Fünfzehn von da, wo er gestanden hatte, bis zu der groben Holztür. Er hämmerte dagegen und schrie, man solle ihn rauslassen, bis er heiser war. Nichts. Als er das Ohr dagegendrückte, hörte er nicht das Geringste von der anderen Seite, aber vielleicht war die Tür ja auch zu dick. Nein, Moment, vielleicht gab es zwei Türen. Ja.
Er versuchte, sich an die Geräusche zu erinnern, die er auf dem Weg in dieses Gefängnis gehört hatte. Als sie hier ankamen, hatte er
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