Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
hätte die Lord Vanek so viel
überschüssige Hitze produzieren müssen, dass ihre
Besatzung bei lebendigem Leib gegrillt worden wäre. Ohnehin war
es ihr nur möglich aufgrund der riesigen, auf die Sterne
gerichteten Raumstrahlantennen, die jetzt schwach rötlich
leuchteten, die Lidars für kurze Zeit mit hoher Intensität
auszusenden. (Das Vakuum ist ein äußerst wirksamer
Isolator – und aktivierte Sensoren, deren Reichweite Milliarden
von Kilometern beträgt, laufen heiß.)
    Von all dem wusste Martin Springfield nichts. Er lag in seiner
Zelle und hatte die letzten beiden Tage in Mutlosigkeit und
Langeweile verbracht, wobei Niedergeschlagenheit und vorsichtiger
Optimismus miteinander abwechselten. Immerhin lebe ich noch, dachte er. Und gleich darauf: Aber nicht mehr lange. Wenn er nur
irgendetwas hätte unternehmen können! Doch an Bord eines
Sternenschiffes gab es keinen Ort, an den er sich flüchten
konnte. Er war genügend Realist, um die Situation zu erfassen:
Wenn ihnen an Bord die Handlungsmöglichkeiten ausgingen, war er
ein toter Mann. Er musste einfach darauf setzen, dass sie nicht
herausbekommen hatten, was er getan hatte, und ihn lieber freilassen
würden, als sich mit der Schiffswerft anzulegen.
    Eines Abends saß er gerade auf seinem Bett, als die Tür
aufging. In Erwartung, Sauer oder den kleinen Schnüffler vom
Büro des Kurators vor sich zu sehen, blickte er auf und machte
gleich darauf große Augen. »Was tust du denn
hier?«
    »Ich mache nur einen Besuch. Darf ich mich setzen?«
    Er nickte verlegen. Rachel, die auf dem Bettrand Platz nahm, trug
einen schlichten schwarzen Overall und hatte ihr Haar streng
zurückgebunden. Sie verhielt sich anders als sonst, wirkte fast
entspannt – und das war nicht geheuchelt, wie er merkte. Weder
spielte sie die Rolle einer Frau von loser Moral noch die einer
Diplomatin, die man in eine Bananenrepublik versetzt hat. Sie gab
überhaupt nichts vor, war einfach nur sie selbst: eine
eindrucksvolle Persönlichkeit. »Ich dachte, die hätten
dich auch eingesperrt«, sagte er.
    »Na ja…« Sie wirkte nicht bei der Sache.
»Einen Augenblick.« Sie warf einen Blick auf ihre
Taschenuhr. »Ah.« Während sie sich zum Kopfende seines
Bettes hinüberbeugte, legte sie einen kleinen, metallischen
Gegenstand auf dem Bett ab.
    »Ich habe die Wanzen schon außer Betrieb gesetzt«,
erklärte er. »Die werden nicht viel hören.«
    Sie bedachte ihn mit einem wütenden Blick. »Besten Dank
auch. – Du hast mich angelogen. Und ich will wissen,
warum.«
    »Oh.« Er bemühte sich, nicht einmal mit der Wimper
zu zucken. Ihr Gesichtsausdruck war unnatürlich beherrscht,
zeigte die Ruhe vor dem Sturm.
    »Du hast nur diese eine Chance, die Wahrheit zu sagen«,
bemerkte sie in lockerem Gesprächston, den eine gewisse
Brüchigkeit in ihrer Stimme Lügen strafte. »Ich
glaube, sie wissen noch nicht, dass du lügst. Aber wenn wir
zurückkommen – na ja, das sind keine Idioten, und du
reitest dich tiefer und tiefer in die Sache hinein. Das Büro des
Kurators wird dich überwachen. Und falls du dich wie jemand
verhältst, der etwas zu verbergen hat, wird dieser Wunderknabe
Wassily den einzig möglichen Schluss daraus ziehen.«
    Er seufzte. »Und was, wenn er zu einem richtigen Schluss
kommt? Was, wenn ich tatsächlich schuldig bin?«
    »Ich habe dir vertraut«, sagte sie mit fast tonloser
Stimme. »Als Person, nicht als einem, der irgendwelche
Spielchen treibt. Und ich mag es gar nicht, wenn man mich
anlügt, Martin. Weder im beruflichen Leben noch
privat.«
    »Also gut.« Er betrachtete den funkelnden
Störsender, den sie auf sein Kopfkissen gelegt hatte. Das war
leichter, als sich damit auseinander zu setzen, dass sie wütend
und verletzt war. »Wenn ich dir sagen würde, dass sie sich
als Leute von der Werft ausgegeben haben, wärst du dann
zufrieden?«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Du bist
sowieso nicht so blöde, auf irgendwelche Tarnungsgeschichten
hereinzufallen.« Sie wandte den Blick ab. »Ich mag es
nicht, wenn man mich anlügt«, wiederholte sie mit bitterer
Stimme.
    Er sah sie an. Im Unterschied zu den wichtigtuerischen Amateuren
der Neuen Republik agierte sie professionell und war darin auf dem
neuesten Stand. Wenn das hier tatsächlich eine rein berufliche
Angelegenheit für sie war und sie ihre Fähigkeiten und
Ausrüstung nicht völlig eingebüßt hatte,
würde sie ihn einer Sprachanalyse unterziehen können und
einen Lügendetektor und jede Menge anderer Chips

Weitere Kostenlose Bücher