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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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gegen ihn
einsetzen. Falls sie… Nun ja, er konnte es ihr wohl kaum
verübeln, dass sie böse auf ihn war. An ihrer Stelle
wäre er auch wütend gewesen. Und verletzt. »Und ich
erzähle nicht gern Lügen«, sagte er schließlich,
was durchaus der Wahrheit entsprach. »Nicht ohne einen Grund,
der absoluten Vorrang hat«, räumte er ein.
    Sie holte tief Luft, offensichtlich, um sich für das Kommende
zu wappnen. »Ich bin die Person, die hier an Bord noch am
ehesten als dein Anwalt auftreten kann, Martin. Und die am ehesten
greifbare Vertreterin deiner Regierung – der Institution, die
sie für deine Regierung halten – im Umkreis von viertausend
Jahren und zweihundert Lichtjahren. Sie haben eine Regierung, die
sich an bestimmte Rechtsgrundsätze hält, auch wenn sie
Ewiggestrige mit Anschauungen aus dem Mittelalter sind. Als deiner
Verteidigerin haben sie mir ein Besuchsrecht bei dir eingeräumt.
Da du ein Zivilist bist, kann ich deine Verteidigung übernehmen,
falls ein Kriegsgericht einberufen wird. Vielleicht gelingt es mir
sogar, das abzuwenden. Aber nur, wenn du mir alles sagst, damit ich
weiß, wen und was ich hier überhaupt verteidige.«
    »Ich kann nicht darüber reden«, erwiderte er, wobei
er sich alles andere als wohl fühlte. In dem schwachen Versuch,
sein schlechtes Gewissen zu verbergen, griff er nach seinem Notebook.
»Ich darf es nicht. Ich dachte, wenn das jemand verstehen
könnte, dann du.«
    »Hör zu.« Rachel warf ihm einen finsteren Blick zu.
»Weißt du noch, was ich dir über Vertrauen gesagt
habe? Ich bin wirklich enttäuscht. Denn ich habe dir
tatsächlich vertraut, und mir scheint, dass du dieses Vertrauen
missbraucht hast. So wie die Dinge liegen, werde ich mir den Mund
fusselig reden müssen, falls ich deinen Arsch retten oder dich
wenigstens lebendig hier herausschaffen will. Doch ehe ich das
versuche, will ich wissen, in welcher Hinsicht du mich
angelogen hast.« Sie stand auf. »Ich bin eine Närrin.
Eine verdammte Närrin, weil ich dir vertraut habe. Und eine noch
größere, weil ich mich mit dir eingelassen habe. Teufel
noch mal, ich bin wirklich ein unprofessioneller Dummkopf! Aber ich
frage dich noch einmal, und du tust gut daran, mir ehrlich zu
antworten, denn es geht in diesem Fall um sehr viele Menschenleben,
Martin. Das hier ist kein Spielchen. Für wen arbeitest du,
verdammt noch mal?«
    Benommen, weil er spürte, dass ihm die Dinge aus dem Ruder
liefen, schwieg er einen Augenblick. Ich kann es ihr nicht sagen,
kann es ihr aber auch nicht vorenthalten. Als er aufsah, trafen
sich ihre Blicke zum ersten Mal. Es war der verletzte Ausdruck in
ihren Augen, der ausschlaggebend für seine Entscheidung war:
Auch wenn er jede Menge vernünftiger Gründe für sein
Schweigen finden konnte, würde er in dieser Nacht kein Auge
zutun, wenn er sie einfach diesen schlimmen Empfindungen
überließ – dem Gefühl, von dem Menschen verraten
worden zu sein, dem sie als Einzigem im Umkreis vieler Lichtjahre
vertraut hatte. Der eine Moment, in dem sie den Code ihres Berufes
außer Acht gelassen hatte, verdiente es, dass er es jetzt
seinerseits auch tat. Mit trockenem Mund, der ihm das Reden
erschwerte, sagte er schließlich: »Ich arbeite für
das Eschaton.«
    Rachel ließ sich schwer aufs Bett plumpsen. Ihre Augen waren
weit aufgerissen, weil sie nicht fassen konnte, was er da gesagt
hatte. »Was?«
    Er zuckte die Achseln. »Glaubst du tatsächlich, das
Eschaton kennt nur eine Methode zur Lösung von Problemen?
Glaubst du, die können nur Steinbrocken auf Planeten
werfen?«
    »Willst du mich auf den Arm nehmen?«
    »Keineswegs.« Er spürte, wie hinten in seiner Kehle
Gallenflüssigkeit aufstieg. »Und ich glaube an das, was ich
tue, wäre ich sonst hier? Denn die Alternative besteht
tatsächlich darin, ein Mordsding auf den Planeten fallen zu
lassen und das Problem auf diese Weise zu lösen. Das Eschaton
findet das leichter. Es macht angemessen Lärm und jagt den
Menschen Angst ein. Doch eigentlich löst das Eschaton Probleme
lieber auf die stillere Art, durch Leute wie mich.«
    »Wie lange arbeitest du schon für die?«
    »Rund zwanzig Jahre.« Erneut zuckte er die Achseln.
»Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
    »Warum?« Sie verbarg die Hände zwischen den Knien
und presste sie fest zusammen, wobei sie ihn mit schrecklich
verwirrter Miene ansah.
    »Weil…« Er versuchte seine versprengten Gedanken zu
sammeln. »Glaub mir, dem Eschaton ist es lieber, wenn sich
zuerst Menschen wie du an

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