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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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sich gar nicht die Mühe machen, mich
hinzurichten. Stattdessen stecken sie mich in einen ihrer
psychiatrischen Zoos und lassen die Kinder Bananen nach mir
werfen.« Dennoch streckte er eine Hand aus und klopfte auf
den unteren Teil der Toilette aus rostfreiem Stahl, die in die
Zellenwand eingelassen war. »Das ist ja…« Als er sich
aufsetzte, war von der Stimme plötzlich nichts mehr zu
vernehmen.
    Martin blinzelte und sah sich um. Keine Stimmen. In der
Zelle hatte sich nichts verändert. Hier drinnen war es immer
noch zu heiß und zu stickig, roch es immer noch schwach nach
fauligem Abwasser und abgestandenem Kohl. (Für den Kohlgeruch
hatte er keine Erklärung; schon lange standen so gut wie
täglich eingepökeltes Rindfleisch und Schiffszwieback auf
der Speisekarte. Trotz des leicht zugänglichen Vakuums und der
extremen Kälte, die nur Millimeter von der Schutzhülle des
Schiffes entfernt herrschte, verließ sich die Marine der Neuen
Republik seltsamerweise auf diese traditionelle Bordverpflegung.) Er
legte sich wieder hin.
    »… nur ein einziges Mal. Wenn du kannst…«
    Er schloss die Augen und klopfte wie bei einer Seance einmal
heftig auf den Boden neben der Toilette.
    »Empfangen. Und jetzt klopf…«, die Stimme
zögerte kurz, »einmal für jeden Tag, den du schon im
Bau sitzt.«
    Martin blinzelte und klopfte die Antwort.
    »Kennst du dich im Morsen aus?«
    Martin kramte in seinem Gedächtnis. Es war ziemlich lange
her, dass er… »Ja«, klopfte er. Eine fast
überflüssige Kunst, dieser serielle Code mit geringer
Bandbreite, aber es war einer, den er tatsächlich beherrschte,
aus einem einfachen Grund: Hermann hatte darauf bestanden, dass er
ihn lernte. Für das Morsen sprach, dass es den Menschen leicht
zugänglich war. Außerdem würde jemand, der bei einer
Videoübertragung nach raffinierteren Verschlüsselungen
suchte, etwas so Prosaisches wie Morsezeichen leicht
übersehen.
    »Wenn du dich hinlegst und den Kopf seitlich gegen die
Toilettenschlüssel lehnst, wirst du mich besser hören
können.«
    Er blinzelte. Übertragung mittels der Knochen? Nein,
etwas anderes. Es waren die Induktionsdrähte rund um seine
Gehörnerven: Irgendeine Quelle, die mit Hochfrequenz arbeitete,
musste sich mit dem Stahl der Toilette kurzgeschlossen haben und
benutzte sie als Antenne! Nicht sehr wirkungsvoll, aber wenn es nicht
besonders weit trug, musste…
    »Identifiziere dich«, signalisierte er.
    Die Antwort kam in Morsezeichen: »AKA Ludmilla. Wer hat uns
damals beim Abendessen überwacht?«
    »Der Wunderknabe«, klopfte er, ließ sich auf den
Boden sinken und zitterte vor Erleichterung. Nach jeder Logik kamen
nur zwei Menschen dafür infrage, am anderen Ende des Rohrs
Klopfzeichen zu geben. Und es war nicht gerade wahrscheinlich, dass
sich das Büro des Kurators auf diese Weise zu erkennen gab.
»Was benutzt du als Relais?«
    »Spionagedrohne im Abwassersystem, klemmt am Abflussventil.
Eine vom Satz, den der blöde Prokurator versehentlich
losgelassen hat. Hab denen befohlen, dich aufzuspüren.
Brennstoffzellen in Drohne fast erschöpft durch Telefonfunktion.
Ziehe Morsen vor. Versuche, dich herauszuholen, Martin. Bisher ohne
Glück.«
    »Wie lange noch bis zur Ankunft?«, klopfte er
drängend.
    »Zehn Tage bis Ankunft in nahem Orbit. Wenn du nicht eher
freikommst, rechne mit Rettung am Ankunftstag. Versuche,
Diplomatenstatus für dich zu sichern.«
    Noch zehn Tage. Rettung – falls sie ihn nicht unter
waffenstarrender Bewachung auf einem Frachter festhielten und zur
Hinrichtung schickten. Und falls Rachel ihm nicht nur Mut machen
wollte, während der Sturm heraufzog. »Bezweifle
Rettung.«
    »Diplomatischer Rettungsgürtel groß genug für
zwei. Energie gleich erschöpft. Werde versuchen, später
anderes Relais aufzutreiben. Liebe dich. Ende.«
    »Ich liebe dich auch«, klopfte er voller Hoffnung, aber
es kam keine Antwort.
     
    Eine Myriade winziger Schaltungen surrte, klickte und summte im
Hintergrund des undefinierbaren grauen Rauschens, das aus dem
Tischrechner drang. Optische Übertragungen projizierten
Lichtspiele auf die gegenüberliegende Wand, als wäre hier
eine Laterna magica am Werk. Der Mann, der das Gerät
bediente, hatte den mit Goldblättern verzierten Jackenkragen
aufgeknöpft. Jetzt lehnte er sich auf dem Stuhl zurück und
ließ Rauch durch die Nase entweichen. Während er auf das
Display starrte, hielt er die Pfeife locker zwischen den Fingern.
    Als jemand an die Tür klopfte, rief er laut:

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