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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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erwiderte Rubenstein bedächtig. »Ist
nicht als Kritik gemeint, Genossin. Die Philosophen sind von ihrem
Wesen her brillante Denker, und man kann ihnen nur schwer folgen.
Aber mit Gesellschaft des Geistes haben sie die Entwicklung
von Bewusstsein innerhalb des einzelnen Menschen gemeint, der sich
aus niedrigeren, vorbewussten Stufen entwickelt hat, nicht etwa die
Gesellschaft, die diese Person umgibt. Daraus folgt, dass man keinem
Persönlichkeitskult anhängt, wenn man mit dem eigenen
Bewusstsein kommuniziert. Und das heißt auch, dass man, wenn
man einem anderen…« Er brach ab und sah das Kaninchen
scharf an. »Ich glaube nicht, dass wir dieses Thema
weiterverfolgen sollten«, bemerkte er schroff. »Zeit
weiterzugehen.«
    Der Cyborg nickte ruckartig, während seine Genossen
aufstanden (einer musste sich dazu entrollen) und ihr
Marschgepäck schulterten. Burija ging zur Hütte der
Siebenten Schwester hinüber und kletterte hinein. Gleich darauf
zog der Tross weiter.
    »Verstehe revolutionäre Haltung nicht«, bemerkte
die Kritikerin und kaute auf einer Süßkartoffel herum,
während die Hütte den Sandweg entlanghüpfte und der
Abordnung des Revolutionären Rates von Plotsk folgte. »Wird
Gespür für eigene Identität missbilligt? Wird Hase
wegen Nähe zum Selbst kritisiert? Unsinn! Wie soll man ohne
Ich-Bewusstsein Kunst schätzen?«
    Burija zuckte die Achseln. »Die nehmen alles zu
wörtlich«, sagte er leise. »Geht immer nur um das
Handeln, nicht um innovatives Denken. Metaphern begreifen sie nicht
richtig. Die Hälfte von denen hält dich für die
zurückgekehrte Hexe und Menschenfresserin Baba Jaga, wusstest du
das? Wir sind allzu lange eine… äh… stabile
Gesellschaft gewesen, in der sich nichts bewegte. Da wurzeln sich
bestimmte Anschauungen und Haltungen tief ein. Und wenn sich etwas
verändert, sind sie nicht fähig, darauf angemessen zu
reagieren. Versuchen alles in ihre vorgefertigten Dogmen zu
pressen.« Er lehnte sich gegen die wacklige Hüttenwand.
»Ich hab’s so satt, ständig zu versuchen, sie
aufzurütteln.«
    Siebente Schwester rümpfte die Nase. »Und wie nennst du das da?« Sie deutete durch die Tür auf den Trupp,
der vor ihnen marschierte: eine wilde Ansammlung von Cyborgs
unterschiedlicher Machart, technisch aufgerüstete
Revolutionäre, die ihr beschränktes früheres Leben
hinter sich gelassen hatten und irgendwo im Niemandsland gestrandet
waren. An der Spitze das Kaninchen, das sie in einen Wald
führte, in dessen Wildnis hier und da auch überweltliche
Phänomene anzutreffen waren.
    Burija spähte zum Kaninchen hinüber. »Ich
würd’s so nennen, wie es selbst genannt werden möchte.
Schließlich hat es eine Waffe, nicht wahr?«
    Gegen Mittag hatte sich der Wald so verändert, dass er kaum
noch wiederzuerkennen war. Irgendein seltsames biologisches
Experiment hatte die Pflanzenwelt völlig entstellt. Bäume
und Gräser hatten das Blattwerk miteinander getauscht, sodass
sie jetzt auf einer Schicht stacheliger Kiefernadeln vorwärts
marschierten, während über ihren Köpfen Grashalme
schaukelten. Die Halme waren schwarz-grün gescheckt, wobei sich
das glänzende Schwarz immer weiter ausbreitete. Aber am meisten
beunruhigte Burija das gänzlich unnatürliche Unterholz, das
an den Rändern zu verschwimmen schien und mit anderen Arten
hemmungslos phänotypische Merkmale ausgetauscht hatte. »Was
hat das hier verursacht?«, fragte er Siebente Schwester
während einer ihrer stündlichen Pausen.
    Die Kritikerin zuckte die Achseln. »Bedeutet gar nichts. Ein
Kunstwerk der Rekombination, Waldzone von Anhängern Lysenkos,
des russischen Biologen und Genetikers. Hüte dich vor solchem
Unsinn, mein Sohn. Befinden sich in dieser Vegetation nur
Abkömmlinge von der Erde?«
    »Das fragst du mich?«, schnaubte Rubenstein. »Ich
bin doch kein Gärtner.«
    »Annahme auch wenig plausibel«, erwiderte Siebente
Schwester schelmisch. »Jedenfalls sind einige Arbeiten von Bringe Rekombinationen. Manipulationen von Genom, nicht
menschenzentriert. Elegante Strukturen, modifiziert ohne bestimmten
Zweck. Dieser Wald an französischem Naturforscher Lamarck
orientiert. Knötchen tauschen Merkmale aus, die Phänotyp
bestimmen, nehmen nützliche an.«
    »Wer entscheidet, ob sie nützlich sind?«
    »Die Blumenschau. Teil von Fringe.«
    »Welche Überraschung«, murmelte Burija.
    Beim nächsten Halt ging er zum Kaninchen hinüber.
»Wie weit noch?«
    Das große Langohr schnüffelte im Wind.
»Fünfzig

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