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Singularität

Singularität

Titel: Singularität Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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»Ich weiß, dass wir früher oder
später – eher früher als später –
weiterziehen müssen. Nur ist es so schön… still hier.
Friedlich.«
    »Auf Friedhöfen ist es auch still.« Als sie sich
ihm bis auf Armeslänge entzog, um ihn anzusehen, stockte ihm
wieder einmal der Atem, weil er sie bei solchen Gelegenheiten
umwerfend schön fand. »Und die Neue Republik ist doch genau
das – oder nicht? Kein guter Ort, wenn man sich auf Dauer
irgendwo niederlassen will, Martin. Kein sicherer Ort. Diese Stadt
steht immer noch unter Schock, leidet kollektiv unter Entzug. Drei
Monate lang wurden den Menschen alle Wünsche erfüllt, und
sie sind noch immer nicht zufrieden! Wenn sie wieder zu sich kommen,
werden sie nach allem greifen, was ihnen Sicherheit verspricht. Die
Stadt wird von Informanten des Kurators nur so wimmeln! Und diesmal
hast du keinen Vertrag mit der Admiralität, und ich kann keinen
Diplomatenpass zücken. Wir werden weiterziehen
müssen.«
    »Und deine Auftraggeber…« Er brachte es nicht
fertig, weiterzureden.
    »Wie gewonnen, so zerronnen.« Sie zuckte die Achseln.
»Ich hab mich auch früher schon beurlauben lassen.
Allerdings ist das hier ja gar kein Urlaub. Wir halten uns lediglich
bedeckt und warten ab, bis wir aus einer Gefahrenzone fliehen
können. Aber wenn wir’s einfach nur zurück zur Erde
schaffen, wäre da vieles, was ich gern mit dir unternehmen
würde. Gemeinsam. Da haben wir dann auch Luft, neue Pläne
zu schmieden. Falls wir hier bleiben, wird jemand anderes uns
jegliche Planung aus der Hand nehmen. Und alle anderen werden dabei
mitspielen.«
    »Du hast Recht.« Er wandte sich wieder dem Brenner zu.
Inzwischen kräuselten sich stetige rötliche Flämmchen
unter der Kohle, die die Thermoheizung dort entzündet hatte.
»Heute also zum Markt. Vielleicht können wir am Abend
überlegen, wann wir…«
    Es klopfte an die Haustür.
    »Was gibt’s?«, rief Martin, wandte sich vom Ofen
ab, schlurfte in den kalten, dunklen Laden, blieb an der Tür
stehen und öffnete die Klappe des Briefkastens. »Wer ist
da?«
    »Ein Telegramm«, sagte eine hohe, atemlose Stimme.
»Ein Telegramm für Herrn Springburg!«
    Martin machte sich an den Verriegelungen zu schaffen und
drückte die Tür halb auf. Sein Blick fiel auf blendend
weißen Schnee und einen jungen Postboten, der dastand und zu
ihm hinaufstarrte. »Ein Telegramm für den
Werkzeugmacher!«
    »Also für mich«, erwiderte er. Während der
Junge wartete, kramte Martin ein paar Kopeken als Botenlohn hervor.
Gleich darauf schloss er die Tür und lehnte sich mit klopfendem
Herzen dagegen. Ein Telegramm!
    »Mach’s auf!« Rachel, in deren Augen sich Hoffnung
und Verblüffung spiegelten, beugte sich erwartungsvoll zu ihm
hinüber. »Wer hat es geschickt?«
    »Hermann…« Er riss den Umschlag auf und las ihr den
Text mit trockenem Mund vor:
     
AN: MARTIN SPRINGFIELD UND RACHEL MANSOUR
 
GRATULIERE EUCH ZU EUREM BABY.
WIE ICH HÖRE, WURDE DAS KIND IM ORBIT UM ROCHARDS WELT
GEBOREN UND BRACH KURZ DARAUF ZU VERSCHIEDENEN ZIELEN AUF. NEHME
ZWAR AN, DASS IHR BEIDE ERSCHÖPFT SEID, ABER VIELLEICHT
INTERESSIERT ES EUCH TROTZDEM, DASS ICH ZU HAUSE DEMNÄCHST
EIN WICHTIGES UNTERNEHMEN ERÖFFNE. FALLS IHR LUST HABT
MITZUMACHEN, WARTEN IN DER HAUPTPOST VON NOWYJ PETROGRAD ZWEI
FLUGKARTEN AUF EUCH.
 
P.S.:
SOWEIT MIR BEKANNT, IST DER FRÜHLING IN PLOTSK DER GESUNDHEIT
NICHT ZUTRÄGLICH. BITTE VERZÖGERT NICHTS.
     
    Später an diesem Tag fing der alte Wolff’sche
Eisenwarenladen Feuer und brannte zu Schutt und Asche nieder. Im Ort
erzählte man sich, das habe der Nichtsnutz von Inhaber zu
verantworten, der sich um nichts gekümmert habe. Zuletzt war er
gesehen worden, als er die Stadt in einem angemieteten Schlitten
verlassen hatte. Sein Gepäck hatte nur aus einer kleinen
Reisetasche bestanden und seine extravagante Frau hatte ihn
begleitet.
    Wie Tintentropfen im großen blauen Meer tauchten die beiden
in der Hauptstadt ab, in Plotsk wurden sie nie wieder gesehen. Ihre
Ankunft ging im allgemeinen Trubel unter, denn in Nowyj Petrograd war
zum ersten Mal seit dem Aufbruch des Festivals wieder ein ziviles
Sternenschiff gelandet: ein Handelsschiff aus Alt-Calais.
    Natürlich tauchten Rachel und Martin nicht wirklich ab. Aber
das ist, wie man so sagt, eine andere Geschichte. Und ehe ich die
erzähle, möchte ich euch bitten, mir erst einmal ein paar
Wünsche zu erfüllen…

 
    [i]
    Quantenbits, zum Beispiel Spins, können einen definierten
Zustand 0 oder 1

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