Sinnliche Stunden mit dem Fremden (Baccara) (German Edition)
Reden mehr schreiben, keine Veranstaltungen organisieren, keine Budgetpläne erstellen und Krisen niederkämpfen. Nein, am folgenden Morgen würde sie die Büroschlüssel abgeben, ihre schicken Kostüme einmotten, den geleasten Audi zurückbringen und als die gute alte Abby in einen verstaubten Pick-up steigen und Lyndon City verlassen, um auf der Ranch zu arbeiten.
Als Kind und Jugendliche hatte sie das Leben auf der Ranch geliebt. Die Freiheit, die frische Luft, den vielen Platz. Doch in den letzten Jahren hatte sie die Vorzüge der Stadt zu schätzen gelernt. Jetzt wünschte sie sich ein Leben, das sie nicht haben konnte. Ihre Schwestern Mandy und Katrina würden bald heiraten, ihr Bruder Seth war Bürgermeister von Lyndon, und ihre Eltern lebten derzeit in Houston, wo ihr Vater sich von einem Schlaganfall erholte. Nun gab es nur noch ihren zweiten Bruder Travis, der sich um die Ranch kümmerte – und Abigail konnte ihn mit all der Arbeit auf keinen Fall alleinlassen.
Auch wenn es ihr nicht gefiel: Der große Ball war vorüber. Am folgenden Morgen würde Cinderella wieder in die weniger glamouröse Realität zurückkehren.
„Hast du Hunger?“, fragte Clyde. Die gelb leuchtenden Straßenlampen spiegelten sich in seinen kaffeebraunen Augen wider.
„Ja, ziemlich“, gestand sie. Sie war viel zu beschäftigt damit gewesen, Hände zu schütteln und Glückwünsche entgegenzunehmen, um etwas zu essen. Erst nachdem sie an die hundert Mal behauptet hatte, dass sie sich riesig darauf freute, auf die Familienranch zurückzukehren, war ihr die Flucht in die Sportbar gelungen. „Aber Bert’s Burgers ist unsere einzige Chance. Überall sonst würde man mich erkennen.“ Sie nickte in Richtung eines kleinen Fastfoodrestaurants einen halben Block die Straße hinunter. Im Bert’s verkehrten fast ausnahmslos Teenager. „Wir könnten das Essen mit an den See nehmen.“
Er hob eine Braue und warf ihr einen skeptischen Blick zu. „Sicher?“
Sie nickte. Direkt am Ufer gab es einen kleinen Park mit Picknicktischen. Später sollte es zwar ein Feuerwerk am See geben, doch die Zuschauer würden sich am anderen Ende des Ufers an der Werft versammeln. Um diese Uhrzeit würden ihre einzige Gesellschaft ein paar Stockenten im Park sein.
„Ein richtiges Date ist das aber nicht“, merkte er an, während sie zum Diner spazierten.
Sie musste lächeln. „Das hier ist ein Date ?“
„Nein, nicht wirklich.“
„Dann können wir ja auch beruhigt Burger essen, oder?“
„Aber ich habe noch nie eine Frau in einem Zweitausenddollarkleid auf Burger und Pommes eingeladen.“
„Wer sagt, dass du mich einlädst?“
„Ich bin Texaner, da versteht sich das von selbst.“
Sie legte sich die Hände auf die Ohren und fing an, laut zu singen, um ihn darauf aufmerksam zu machen, dass sie gar nicht wissen wollte, woher er stammte.
Er grinste und zog ihr die Hand vom Ohr. „Als ob mich mein Dialekt nicht schon längst verraten hätte.“
„Dass du aus Texas stammst, heißt noch lange nicht, dass du noch immer dort wohnst.“
„Tue ich.“
„Halt dich an die Regeln“, wies sie ihn zurecht.
„Es gibt Regeln?“
„Allerdings, und das weißt du ganz genau.“
Sie betraten den Imbiss, und Abigail bestellte einen Mountain Burger ohne Zwiebeln und einen Schoko-Shake.
„Ich nehme dasselbe und dazu noch eine Portion Pommes bitte“, sagte Clyde und zog seinen Geldbeutel aus der Hosentasche.
Abigail beschloss, nicht weiter darüber zu diskutieren, wer hier wen einlud. Was wollte sie damit auch beweisen? Dass sie eine unabhängige Frau war? Oder dass das hier kein Date war? Und was war überhaupt so abstoßend an der Vorstellung, dass sie ein Date hatten?
Während Clyde bezahlte, warf sie einen verstohlenen Blick auf sein Profil. Er war wirklich erstaunlich attraktiv: weit über eins achtzig, mit umwerfenden braunen Augen, dunklem, vollem Haar, schön geschwungenen Lippen, einer geraden Nase und einem markanten Kinn, das von einem leichten Bartschatten überzogen wurde. Kein Cowboytyp. Nein, er wirkte durch und durch weltgewandt und souverän. Und das gefiel ihr.
Die Kassiererin reichte ihm das Wechselgeld, eine Papiertüte mit den Burgern und einen Papphalter mit den Milchshakes. „Dann zeig mir mal den Weg zum See“, sagte Clyde.
„Brauchst du keine Hilfe beim Tragen?“
„Nein, das geht schon.“
„Dann lasst ihr Texaner Frauen also weder bezahlen noch etwas tragen?“
„Yes, Ma’am.“
Unwillkürlich fragte
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